Der Verkauf eines Firmenwagens an den Gesellschafter-Geschäftsführer: Mehrwertsteuerrechtliche Grenzen in der niederländischen Rechtsprechung

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Der Verkauf eines Autos durch eine niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung (im Folgenden: BV) an ihren Hauptaktionär (im Folgenden: DGA) ist ein in der niederländischen Praxis häufig vorkommender Vorgang. Obwohl es sich dabei um eine routinemäßige Übertragung von Vermögenswerten innerhalb der Unternehmenssphäre zu handeln scheint, führt sie häufig zu komplexen umsatzsteuerlichen Überlegungen. Diese Überlegungen treten insbesondere dann auf, wenn der vereinbarte Verkaufspreis deutlich unter dem Marktwert des Fahrzeugs liegt, was die Frage aufwirft, ob die gesamte geschuldete Mehrwertsteuer ordnungsgemäß verbucht wurde.
Im vergangenen Jahr haben sich mehrere niederländische Gerichte zu diesem Thema geäußert und sich mit der Frage befasst, wie das Mehrwertsteuersystem auf solche konzerninternen Transaktionen reagieren sollte. Obwohl den Fällen ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liegt - nämlich die Übertragung eines Autos von einer BV auf ihre DGA zu einem niedrigen Preis - kamen die Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen. Diese Divergenz verdeutlicht die Auslegungsprobleme in Bezug auf die subjektive und die objektive Steuerbemessungsgrundlage, die Lehre vom Rechtsmissbrauch und die Rolle der verdeckten Gewinnausschüttung im Rahmen der Mehrwertsteuer.
In diesem Artikel werden drei wichtige niederländische Entscheidungen aus den Jahren 2024 und 2025 untersucht. Jede Entscheidung trägt zur Weiterentwicklung der niederländischen MwSt-Rechtsprechung bei, indem sie die Grenzen zulässiger Preisstrukturen zwischen Unternehmen und ihren Anteilseignern auslotet.
Rechtlicher Rahmen: Die niederländischen Bestimmungen im Lichte des EU-Rechts
Die niederländischen MwSt.-Vorschriften sind im niederländischen MwSt.-Gesetz von 1968 (Wet op de Omzetbelasting 1968, im Folgenden: MwSt.-Gesetz) niedergelegt, das die Bestimmungen der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie 2006/112/EG umsetzt. Nach dieser Regelung wird die Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt erhoben (Artikel 1 und 3 MwSt-Gesetz; Artikel 2 und 14 MwSt-Richtlinie). Gemäß Artikel 8 des Mehrwertsteuergesetzes sowie Artikel 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist die Steuerbemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung. Dies entspricht der so genannten subjektiven Steuerbemessungsgrundlage: Der vereinbarte und gezahlte Preis ist maßgeblich, unabhängig vom Marktwert.
Nach Artikel 80 der MwSt-Richtlinie können die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen, z. B. bei Umsätzen zwischen verbundenen Parteien, eine objektive Steuerbemessungsgrundlage anwenden. Die Niederlande haben sich jedoch bewusst dafür entschieden, diese Bestimmung nicht anzuwenden. Dennoch zeigt die niederländische Rechtsprechung - insbesondere die des Obersten Gerichtshofs der Niederlande und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) -, dass in Ausnahmefällen Anpassungen auf der Grundlage der Doktrin des Rechtsmissbrauchs vorgenommen werden können. Diese Doktrin spielt in der niederländischen Praxis eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Steuervermeidung oder, in diesem Zusammenhang, der künstlichen MwSt-Vorteile.
Kernproblem: subjektive vs. objektive Steuerbemessungsgrundlage
Die Standardregel sowohl im niederländischen als auch im EU-Recht ist die subjektive Steuerbemessungsgrundlage - das, was tatsächlich gezahlt und erhalten wurde. Bei Transaktionen zwischen unabhängigen Dritten gibt dies selten Anlass zu Streitigkeiten. Findet die Transaktion jedoch zwischen verbundenen Parteien statt - beispielsweise zwischen einer BV und ihrer DGA - und weicht der vereinbarte Preis erheblich vom Marktwert ab, stellt sich die Frage, ob dieser Preis noch der wirtschaftlichen Realität entspricht. Wenn der Preis künstlich niedrig ist, besteht die Gefahr der Steuervermeidung, was eine rechtliche Prüfung erforderlich macht.
Drei niederländische Fälle, drei Ergebnisse: eine eingehende Analyse
1. Bezirksgericht der nördlichen Niederlande - 12. September 2024 (ECLI:NL:RBNNE:2024:3540)
In dieser Rechtssache ging es um ein einmaliges Geschäft, bei dem eine BV ein Tesla Model S für 2 205 EUR ohne MwSt. an ihre DGA verkaufte, während der Marktwert des Fahrzeugs auf 25 000 EUR geschätzt wurde. Die niederländische Steuerverwaltung vertrat den Standpunkt, dass die Steuerbemessungsgrundlage den Marktwert des Fahrzeugs widerspiegeln sollte, und argumentierte, dass der vereinbarte Preis keine echte Gegenleistung darstellte und dass die Transaktion entweder als fiktive Lieferung eingestuft oder nach der Doktrin des Rechtsmissbrauchs berichtigt werden sollte.
Das Gericht entschied jedoch zu Gunsten des Steuerpflichtigen. Es stellte fest, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Lieferung des Fahrzeugs und der erhaltenen Gegenleistung besteht, wie es das niederländische und das europäische Mehrwertsteuerrecht verlangen. Die DGA hatte den vollen Rechnungsbetrag gezahlt, und es wurden glaubwürdige, nicht steuerbezogene Motive vorgebracht: Das Fahrzeug hatte die Abschreibungsgrenze erreicht und stellte durch den Zuschlag für die private Nutzung eine erhebliche steuerliche Belastung dar. Das Gericht wies auch das Argument der verdeckten Gewinnausschüttung zurück und stellte fest, dass es keinen objektiven Zusammenhang zwischen einem Dividendenanspruch und dem reduzierten Preis gibt.
2. Appellationsgericht Amsterdam - 19. Dezember 2024 (ECLI:NL:GHAMS:2024:3591)
In diesem deutlich anderen Fall zeigte der Sachverhalt ein wiederkehrendes Muster. Eine MwSt.-Gruppe verkaufte mehrere Luxusfahrzeuge mit einem beträchtlichen Marktwert (zwischen 70 000 und 90 000 EUR) an ihre DGA zu einem einheitlichen und erheblich reduzierten Preis von 15 000 EUR pro Fahrzeug. Diese Transaktionen fanden über mehrere Jahre hinweg statt und folgten einer intern konsistenten, aber wirtschaftlich nicht begründeten Preisstrategie.
Was diesen Fall auszeichnete, war das eindeutige Vorhandensein einer Steuerplanung: Die DGA hatte ausdrücklich auf Dividendenzahlungen verzichtet, die das Gericht als Teil der gegenseitigen Vereinbarung ansah, um den Erwerb der Fahrzeuge unter dem Marktwert zu erleichtern. Das Gericht bezeichnete diese Struktur als ein bewusst konstruiertes System zur Minimierung der Mehrwertsteuerpflicht. In Anwendung der Lehre vom Rechtsmissbrauch wurden die Umsätze neu bewertet und die Mehrwertsteuer auf der Grundlage des objektiven Marktwerts der Fahrzeuge festgesetzt. Der Dividendenverzicht wurde in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen, was eine umfassende Betrachtung der erhaltenen Gegenleistung widerspiegelt.
3. Appellationsgericht 's-Hertogenbosch - 29. Januar 2025 (ECLI:NL:GHSHE:2025:215)
Das Gericht 's-Hertogenbosch befasste sich mit dem Verkauf eines Fahrzeugs an eine DGA für einen Betrag, der deutlich unter dem Marktwert lag, und äußerte ähnliche Bedenken. Das Gericht kam jedoch zu anderen Ergebnissen als das Gericht in Amsterdam. Es wurde festgestellt, dass es sich um eine zufällige Transaktion handelte, bei der keine strukturellen Muster oder Steuervermeidungsmechanismen erkennbar waren. Anders als im Amsterdamer Fall gab es keine Beweise für einen Dividendenverzicht oder eine interne Politik der Unterbewertung. Die DGA zahlte den Rechnungsbetrag in voller Höhe, und das Unternehmen führte legitime interne Gründe für den Verkauf an, darunter Effizienz und Veralterung des Fahrzeugs.
Das Gericht betonte, dass das bloße Vorhandensein eines niedrigen Verkaufspreises nicht ausreicht, um eine Neufestsetzung nach dem Mehrwertsteuerrecht auszulösen. Da der Umsatz weder künstlich noch steuerlich manipuliert war, wurde er als entgeltliche Lieferung im Rahmen der subjektiven Steuerbemessungsgrundlage bestätigt. Das Gericht lehnte es ab, einen Rechtsmissbrauch oder ein Element der verdeckten Gewinnausschüttung anzunehmen.
Rechtsmissbrauch in der niederländischen Rechtspraxis
Die Doktrin des Rechtsmissbrauchs spielt im niederländischen Mehrwertsteuerrecht eine zentrale Rolle, um unzulässige Steuervorteile zu neutralisieren. Nach Auffassung des EuGH (z. B. Halifax, Weald Leasing) und des Obersten Gerichtshofs der Niederlande (HR 10. September 2021, ECLI:NL:HR:2021:1230) liegt Rechtsmissbrauch vor, wenn:
1. die formale Anwendung von Rechtsvorschriften zu einem Steuervorteil führt, der dem Zweck und dem Geist dieser Vorschriften zuwiderläuft, und
2. der wesentliche Zweck der Umsätze darin besteht, diesen Vorteil zu erlangen.
Die niederländischen Gerichte beurteilen dies anhand objektiver Umstände und prüfen die wirtschaftliche Realität hinter der Transaktion. Wiederholung, Künstlichkeit und das Fehlen legitimer Geschäftsmotive sind wichtige Indikatoren. Das Amsterdamer Gericht sah wiederholte Transaktionen zu festen, nicht marktüblichen Preisen als Beweis für einen Missbrauch an. Die anderen Gerichte fanden keine ausreichenden Gründe für diese Schlussfolgerung.
Verdeckte Gewinnausschüttungen und die Steuerbemessungsgrundlage
Ein immer wiederkehrendes Thema in diesen Fällen ist die mehrwertsteuerliche Behandlung von verdeckten Gewinnausschüttungen. Die Rechtsfrage ist, ob ein solcher Vorteil für die DGA - der sich in einem reduzierten Kaufpreis manifestiert - für Mehrwertsteuerzwecke als (Teil) der Gegenleistung eingestuft werden kann. Wie in der Rechtsprechung des EuGH(Floridienne/Berginvest, C-142/99) klargestellt wurde, muss ein unmittelbarer und wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Leistung und der Gegenleistung bestehen.
In der Amsterdamer Rechtssache wurde diese Verbindung ausdrücklich durch den Verzicht der DGA auf Dividendenrechte im Gegenzug zu einem Vorzugspreis hergestellt. Das Gericht legte dies als Teil der Gesamtgegenleistung aus. Im Gegensatz dazu lehnten sowohl das Gericht in den nördlichen Niederlanden als auch das Gericht in 's-Hertogenbosch diesen Ansatz ab, indem sie das Fehlen einer solchen direkten Ausgleichsstruktur betonten und bekräftigten, dass die subjektive Gegenleistung entscheidend bleibt, sofern nicht eine eindeutige Verbindung zu einem anderen Vorteil hergestellt werden kann.
Praktische Auswirkungen auf die niederländische Praxis
Diese Urteile verdeutlichen das Spannungsverhältnis zwischen der zivilrechtlichen Freiheit der Preisgestaltung und dem steuerlichen Ziel, eine korrekte Mehrwertsteuererhebung zu gewährleisten. Für niederländische Steuerzahler und Berater werden die folgenden Praktiken empfohlen:
- Dokumentieren Sie jede Transaktion gründlich mit einer DGA, einschließlich unterstützender Bewertungen und kommerzieller Begründungen;
- Holen Sie ein unabhängiges Gutachten ein, wenn die Preisgestaltung vom Marktstandard abweicht;
- Seien Sie vorsichtig bei wiederkehrenden konzerninternen Verkäufen, insbesondere wenn Sie eine feste Niedrigpreispolitik verfolgen;
- Vermeiden Sie indirekte Dividendenstrukturen, die ohne klare rechtliche Abgrenzung als Teil der Gegenleistung ausgelegt werden könnten;
- Legen Sie alle relevanten Informationen im Schriftverkehr mit der niederländischen Steuerverwaltung transparent offen.
Die Einhaltung dieser Praktiken kann dazu beitragen, Streitigkeiten zu vermeiden, das Risiko von Rechtsstreitigkeiten zu verringern und die Einhaltung sowohl der nationalen als auch der europäischen Mehrwertsteuerstandards zu gewährleisten.
Schlussfolgerung
Der Verkauf von Firmenwagen an DGAs stellt eine nuancierte Herausforderung im niederländischen Mehrwertsteuerrecht dar. Während die subjektive Steuerbemessungsgrundlage weiterhin der Standard ist, achten die Gerichte zunehmend auf den breiteren wirtschaftlichen Kontext und das Missbrauchspotenzial. Die jüngsten Urteile zeigen, dass isolierte Transaktionen, die auf kommerziellen Erwägungen beruhen, im Allgemeinen respektiert werden, während eine systematische Unterbewertung und steuerlich motivierte Strukturierung ein gerichtliches Eingreifen erfordern können. Praktiker sollten wachsam bleiben und bei allen anteilseignerbezogenen Vermögensübertragungen sowohl verfahrensrechtliche als auch inhaltliche Transparenz sicherstellen.

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