Mehrwertsteuer auf nicht eingelöste Gutscheine: Rechtliche Einblicke aus dem Urteil des Obersten Gerichtshofs der Niederlande

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Am 28. Februar 2025 hat der Oberste Gerichtshof der Niederlande (Hoge Raad) eine Entscheidung über die mehrwertsteuerliche Behandlung von nicht eingelösten Auktionsgutscheinen getroffen. Dieses Urteil befasst sich direkt mit einer immer wiederkehrenden Frage in der digitalen Wirtschaft: Wenn ein Verbraucher einen Gutschein erwirbt, der ihn zu einer Dienstleistung berechtigt, diesen aber letztlich nicht einlöst, ist dann trotzdem Mehrwertsteuer fällig? Das Urteil des Obersten Gerichtshofs liefert eine klare und maßgebliche Antwort und bietet einen breiteren Rahmen dafür, wie Vorauszahlungen und nicht eingelöste Ansprüche nach niederländischem und EU-Mehrwertsteuerrecht behandelt werden.
Dieser Fall - zusammen mit einem in V-N 2025/11.12 veröffentlichten Überblicksurteil - klärt die steuerliche Situation für Unternehmen, die Gutscheine, Geschenkkarten oder ähnliche vorausbezahlte Mechanismen anbieten, insbesondere für solche, die in den Bereichen Freizeit, Reisen, Gastgewerbe und E-Commerce tätig sind.
Sachverhalt und Umstände des Falles
Gegenstand des Verfahrens war das Geschäftsmodell einer niederländischen MwSt.-Gruppe, die eine Online-Auktionsplattform betrieb, die auf Dienstleistungen im Freizeitbereich spezialisiert war. Verbraucher, die die Plattform besuchten, konnten Gebote für Angebote wie Hotelübernachtungen, Restaurantbesuche, Wellness-Behandlungen und ähnliche Erlebnisse abgeben, die alle von Drittunternehmen angeboten wurden. Diese Angebote wurden in Form von Auktionslosen vermarktet, und der Höchstbietende erhielt das Recht auf einen Gutschein - allgemein als "Veilingbon" bezeichnet -, der dann direkt beim Anbieter eingelöst werden konnte.
Nach Abschluss der Auktion zahlte der Verbraucher den Betrag des Höchstgebots an die Auktionsplattform und erhielt einen digitalen Gutschein mit den entsprechenden Angaben und Einlöseanweisungen. Der Betreiber der Plattform handelte in eigenem Namen, aber auf Rechnung der Drittanbieter, und arbeitete im Rahmen einer Kommissionsvereinbarung im Sinne des niederländischen Mehrwertsteuerrechts. Der Verbraucher wäre dafür verantwortlich, den Dienstleister zu kontaktieren und den Gutschein innerhalb einer bestimmten Gültigkeitsdauer einzulösen.
Obwohl das Verfahren einfach zu sein schien, wurde eine erhebliche Anzahl von Gutscheinen nie eingelöst. Diese "No-Show"-Szenarien warfen Fragen nach der ordnungsgemäßen mehrwertsteuerlichen Behandlung der ursprünglichen Zahlung auf. Das Unternehmen hatte in den Vorjahren mit den niederländischen Steuerbehörden Abrechnungsvereinbarungen (vaststellingsovereenkomsten) geschlossen, in denen bestätigt wurde, dass die Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt der Zahlung fällig war - auch im Falle der Nichteinlösung. Das Unternehmen focht diese Behandlung jedoch später an und beantragte die Erstattung der bereits gezahlten Mehrwertsteuer für nicht eingelöste Gutscheine.
Der Rechtsstreit vor den Gerichten konzentrierte sich auf die Frage, ob in Fällen, in denen der Verbraucher einen Gutschein bezahlt, aber nie eingelöst hat, eine steuerpflichtige Lieferung stattgefunden hat, und ob die Ausstellung des Gutscheins allein ausreicht, um die Mehrwertsteuerpflicht auszulösen.
Der rechtliche Rahmen: Lieferung, Vorauszahlung und Mehrwertsteuerpflichtigkeit
Die Rechtsgrundlage des Falles beruht auf einer Kombination aus nationalen und europäischen MwSt-Vorschriften, die gemeinsam den Umfang und den Zeitpunkt der steuerpflichtigen Lieferung festlegen. Ausgangspunkt ist Artikel 1 des niederländischen Mehrwertsteuergesetzes von 1968 (Wet op de omzetbelasting 1968), in dem festgelegt ist, dass die Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt erhoben wird. Dieser allgemeine Grundsatz wird in Artikel 13 Absatz 2 desselben Gesetzes weiter präzisiert, der besagt, dass bei einer Zahlung im Voraus für eine Dienstleistung der Steueranspruch zum Zeitpunkt der Zahlung eintritt, sofern die künftige Dienstleistung hinreichend konkret ist.
Diese Bestimmung spielt eine entscheidende Rolle in Fällen, in denen es um Vorauszahlungen wie den Verkauf von Gutscheinen geht. Wenn ein Verbraucher für ein Recht auf eine künftige Dienstleistung bezahlt und die Art der Dienstleistung zum Zeitpunkt der Zahlung hinreichend klar ist - wie z. B. ein Hotelaufenthalt oder ein Abendessen -, behandelt das Mehrwertsteuerrecht diese Zahlung als einen steuerbaren Vorgang. Der Umsatz hängt nicht davon ab, ob die Dienstleistung später in Anspruch genommen wird, sondern von der rechtlichen und wirtschaftlichen Tatsache, dass der Verbraucher ein einklagbares Recht erhalten hat.
Erschwerend kommt hinzu, dass Artikel 4 Absatz 4 des Mehrwertsteuergesetzes die so genannte Kommissionsfiktion enthält. Diese Vorschrift besagt, dass eine Partei, die in eigenem Namen, aber im Auftrag eines Dritten handelt - z. B. eine Auktionsplattform, die Transaktionen zwischen Verbrauchern und Dienstleistern vermittelt -, für Mehrwertsteuerzwecke so behandelt wird, als hätte sie die Gegenstände oder Dienstleistungen selbst geliefert. Das bedeutet, dass der Plattformbetreiber die Mehrwertsteuer schuldet, auch wenn die zugrunde liegende Dienstleistung von einem Dritten erbracht (oder nicht erbracht) wird.
Diese nationalen Vorschriften müssen im Einklang mit der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie (2006/112/EG) ausgelegt werden, die den breiteren Rechtsrahmen für die Mehrwertsteuer in allen EU-Mitgliedstaaten bildet. Artikel 2 der Richtlinie legt die Grundvoraussetzung fest, dass die Mehrwertsteuer auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen gegen Entgelt geschuldet wird. In Artikel 65 ist ferner festgelegt, dass die Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt der Zahlung fällig wird, wenn die Zahlung vor Eintritt des Steuertatbestands erfolgt. Entscheidend ist, dass der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Rechtssachen wie Air France-KLM und Hop!-Brit Air SAS (C-250/14 und C-289/14) bestätigt hat, dass die Mehrwertsteuer auf Vorauszahlungen auch dann geschuldet wird, wenn die Leistung letztlich nicht verbraucht wird, solange der Anbieter die Leistung zur Verfügung gestellt und die Zahlung einbehalten hat.
Zusammengenommen bilden diese Bestimmungen einen umfassenden Rechtsrahmen, in dem die Ausstellung eines Gutscheins nicht nur ein bedingtes Versprechen, sondern eine vollendete Dienstleistung darstellt. Dass der Verbraucher den Gutschein nicht einlöst, ist daher wirtschaftlich relevant, aber steuerlich irrelevant. Der Lieferer hat seine mehrwertsteuerlichen Pflichten erfüllt, indem er den Zugang zu einem bestimmten Anspruch gegen Entgelt gewährt hat.
Ist auf nicht eingelöste Gutscheine Mehrwertsteuer zu entrichten?
Der Steuerpflichtige vertrat im Wesentlichen die Auffassung, dass keine tatsächliche Leistung vorliegt, wenn ein Verbraucher den Gutschein nicht einlöst. Daher sollte keine Mehrwertsteuer fällig werden. Demgegenüber vertraten die Steuerbehörden die Auffassung, dass die Ausstellung des Gutscheins eine steuerpflichtige Leistung darstelle und dass der Lieferer seine Verpflichtung erfüllt habe, indem er dem Verbraucher die Einlösung der Dienstleistung ermöglicht habe.
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs
Der Oberste Gerichtshof wies das Argument des Steuerpflichtigen zurück und bestätigte, dass die Ausstellung eines Gutscheins gegen Entgelt steuerpflichtig ist, unabhängig davon, ob er eingelöst wird. Seine Argumentation stützt sich auf fünf zusammenhängende Feststellungen:
1. Die Ausstellung eines Gutscheins ist eine steuerpflichtige Leistung
Der Verbraucher erhält einen individuellen, einklagbaren Anspruch auf eine bestimmte Dienstleistung. Die Verpflichtung zur Leistung entsteht mit der Ausstellung und nicht mit der tatsächlichen Inanspruchnahme. Somit ist ein steuerpflichtiges Ereignis eingetreten.
2. Der Steueranspruch entsteht mit der Zahlung
Wenn die Leistung zum Zeitpunkt der Zahlung hinreichend bestimmt ist (z. B. Art der Leistung, Rückzahlungsbedingungen), wird die Mehrwertsteuer sofort fällig. Es ist nicht erforderlich, die Einlösung abzuwarten.
3. Keine Mehrwertsteuererstattung bei Nichtinanspruchnahme
Der Verbraucher trägt das Risiko der Nichteinlösung. Da die Verpflichtung des Lieferers mit der Erbringung der Leistung erfüllt ist, berechtigt die Nichtinanspruchnahme den Lieferer nicht zur Rückforderung der Mehrwertsteuer.
4. Vorherige Abrechnungen sind verbindlich
Der Gerichtshof entschied, dass der Steuerpflichtige nicht von seinen früheren Vereinbarungen mit den Finanzbehörden abweichen kann. Eine VSO spiegelt eine rechtsverbindliche Vereinbarung über die mehrwertsteuerliche Behandlung wider und kann nicht einseitig außer Kraft gesetzt werden.
5. Vollständige Vereinbarkeit mit dem EU-Mehrwertsteuerrecht
Das Urteil bestätigt, dass die niederländische Behandlung mit den europäischen Mehrwertsteuergrundsätzen in Einklang steht. Der steuerbare Zeitpunkt ist die Übertragung eines bestimmten Rechts gegen Entgelt, unabhängig von der späteren Verwendung.
V-N 2025/11.12: Stärkung und Klarstellung des Grundsatzes
In der Übersichtsentscheidung V-N 2025/11.12 bekräftigten die niederländischen Gerichte die wichtigsten Schlussfolgerungen des Obersten Gerichtshofs. Das Urteil schafft zusätzliche Klarheit für Steuerpraktiker:
Das Recht, eine Dienstleistung (einen Gutschein) zu erhalten, ist eine steuerpflichtige Leistung, sobald sie ausgestellt und bezahlt wurde.
Die tatsächliche Inanspruchnahme der Dienstleistung ist für die Begründung der Mehrwertsteuerpflicht nicht erforderlich.
Der Leistungserbringer muss bereit und in der Lage sein, die Leistung zu erbringen; die Nichtnutzung durch den Verbraucher ist wirtschaftlich relevant, aber nicht steuerlich entscheidend.
Dieses Urteil ist sowohl eine Klarstellung als auch eine Bekräftigung der niederländischen Steuerpolitik in diesem Bereich.
Auswirkungen für Unternehmen: Rechtliche und operative Konsequenzen
Diese Rechtsprechung verschafft den Unternehmen die dringend benötigte Klarheit und erlegt ihnen gleichzeitig wichtige Verpflichtungen auf. Eine der wichtigsten Auswirkungen ist, dass Vorauszahlungen für Gutscheine eine unmittelbare Mehrwertsteuerschuld begründen. Sobald ein Kunde zahlt, muss die Mehrwertsteuer ausgewiesen werden, unabhängig davon, ob die Dienstleistung letztendlich erbracht wird. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf das Cashflow-Management und die Steuerplanung, so dass es für Unternehmen unerlässlich ist, diese Verbindlichkeiten bei ihren Finanzgeschäften zu berücksichtigen.
Darüber hinaus sind Absprachen mit den Steuerbehörden - wie z. B. vereinbarte Positionen zur mehrwertsteuerlichen Behandlung (z. B. VSO) - rechtsverbindlich und haben langfristige Auswirkungen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Unternehmen diese Vereinbarungen sorgfältig ausarbeiten und sich über ihre Auswirkungen im Klaren sind, bevor sie sich verpflichten.
Das Risiko, das mit Gutscheinen verbunden ist, die nie eingelöst werden, liegt nicht beim Anbieter, sondern beim Verbraucher. Aus mehrwertsteuerlicher Sicht ist die Nichteinlösung ein wirtschaftliches Risiko und entbindet nicht von der Pflicht zur Abführung der Mehrwertsteuer. Die Unternehmen müssen daher solche Risiken als Teil ihrer Geschäftsstrategie und nicht als Teil ihres Rahmens für die Einhaltung der Steuervorschriften behandeln.
Dies macht eine vorzeitige Einhaltung der MwSt-Vorschriften unerlässlich. Unternehmen, die mit vorausbezahlten Dienstleistungen oder Gutscheinen handeln - wie E-Commerce-Plattformen, Freizeitdienstleister oder digitale Vermittler - müssen über robuste interne Systeme verfügen. Echtzeit-Mehrwertsteuerabrechnung, gründliche Dokumentation und interne Kontrollen sind nicht optional, sondern notwendig, um die Compliance-Anforderungen zu erfüllen.
Schließlich erhöht die Angleichung der niederländischen Rechtsprechung an das EU-Mehrwertsteuerrecht die Rechtssicherheit. Diese Übereinstimmung gewährleistet, dass die nationale Praxis auf einer soliden rechtlichen Grundlage steht und verringert das Risiko künftiger Rechtsstreitigkeiten. Für die Unternehmen bedeutet dies die Gewissheit, dass sie in einem MwSt.-Rahmen arbeiten, der mit der europäischen Steuerpolitik im Allgemeinen vereinbar ist.
Abschließende Überlegungen
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs der Niederlande aus dem Jahr 2025 ist eine wichtige Orientierungshilfe für die mehrwertsteuerliche Behandlung von Dienstleistungen ohne Rückvergütung. Es stellt eindeutig fest, dass die Mehrwertsteuerpflicht nicht mit der tatsächlichen Inanspruchnahme einer Dienstleistung entsteht, sondern in dem Moment, in dem ein Recht gegen eine Zahlung gewährt wird. Diese Verlagerung des Schwerpunkts - vom Verbrauch zum Anspruch - erfordert, dass die Unternehmen diesen Grundsatz in ihren Finanzprozessen, Strukturen zur Einhaltung der Steuervorschriften und strategischen Entscheidungen berücksichtigen.
Im Kontext einer wachsenden digitalen Wirtschaft ist die konsequente Anwendung der MwSt-Vorschriften auf vorausbezahlte und bedingte Dienstleistungen nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Unternehmen, die Gutscheine oder ähnliche Instrumente anbieten, müssen sorgfältig prüfen, wie diese für MwSt.-Zwecke behandelt werden, den rechtlichen Status aller Vereinbarungen mit den Steuerbehörden überprüfen und sicherstellen, dass ihre internen Systeme für die Erfüllung der damit verbundenen Compliance-Pflichten ausgelegt sind.
Letztlich bietet das Urteil zwar Rechtsklarheit, aber es liegt an den Unternehmen, danach zu handeln. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen erfordert nicht nur ein entsprechendes Bewusstsein, sondern auch eine proaktive Strukturierung der Geschäftstätigkeit, um die vollständige und rechtzeitige Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten.

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