Italiens Mehrwertsteuerreform 2025: Wichtige Änderungen auf dem Weg zur EU-Harmonisierung

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Italien durchläuft derzeit eine historische Überprüfung seines Mehrwertsteuersystems mit dem Ziel einer tiefgreifenden Harmonisierung mit den Grundsätzen der Europäischen Union (EU) im Bereich der Mehrwertsteuer. Diese Umgestaltung ist Teil einer umfassenderen Reform, die darauf abzielt, die Einhaltung der EU-Richtlinien und -Rechtsprechung zu gewährleisten, die Rechtssicherheit zu erhöhen, die Einhaltung der Vorschriften zu vereinfachen und das Funktionieren des Marktes zu verbessern.
Am 16. März 2023 erhält die italienische Regierung die Befugnis, die Mehrwertsteuergesetzgebung zu überarbeiten und neu zu ordnen. Dabei gelten zwei wichtige Fristen: Die Reform muss bis zum 29. August 2025 umgesetzt und bis zum 31. Dezember 2025 formell abgeschlossen werden. Im Juli 2025 billigte der Ministerrat vorläufig ein neues konsolidiertes Mehrwertsteuergesetzbuch mit 171 Artikeln, die sich auf 18 Abschnitte verteilen.
Traditionell wurde der italienische MwSt.-Rahmen durch das Präsidialdekret Nr. 633 von 1972 und das Gesetzesdekret Nr. 331 von 1993 beschrieben. Im Laufe der Jahre haben Konflikte zwischen den italienischen Vorschriften und dem EU-Mehrwertsteuerrecht - insbesondere der Richtlinie 2006/112/EG des Rates - zu Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Vorschriften und zu rechtlichen Unklarheiten geführt.
Welches sind die Grundpfeiler der Reform?
1. Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer und Bedingungen für die Anwendung des Gesetzes
Eine der wichtigsten Änderungen betrifft den Zeitpunkt der Anwendung der Mehrwertsteuer, insbesondere den Begriff der "Lieferung von Gegenständen". Nach geltendem italienischem Recht setzt eine Lieferung von Gegenständen die formale Übertragung des Eigentums nach dem Zivilrecht voraus. Im Gegensatz dazu stellt die EU-Richtlinie auf die wirtschaftliche Übertragung der Verfügungsgewalt über einen Gegenstand ab. Diese restriktivere nationale Auslegung hat zu Verwirrung und uneinheitlicher Behandlung von Transaktionen wie Finanzierungsleasing und Sale-and-leaseback-Verträgen geführt.
Der EuGH hat häufig betont, dass die Mehrwertsteuervorschriften im Lichte der wirtschaftlichen Substanz und nicht der rechtlichen Form zu lesen sind. Mit der letzten Reform versucht der italienische Gesetzgeber, diese Unterschiede zu beseitigen und die italienischen Definitionen mit der EU-Rechtsprechung in Einklang zu bringen.
2. Rationalisierung von Mehrwertsteuerbefreiungen und fakultativer Besteuerung
Ein zweiter Punkt der Reform ist die Überarbeitung der Mehrwertsteuerbefreiungen, insbesondere für den Immobilien- und Finanzsektor. In diesen Sektoren werden häufig gemischte Umsätze getätigt - einige sind steuerpflichtig, andere steuerbefreit - und leiden unter einer unsicheren Rechtsauslegung. Die Reform schlägt eine klarere Definition der steuerbefreiten Tätigkeiten vor und führt einen Mechanismus zur "Option zur Besteuerung" im Einklang mit Artikel 137 der Mehrwertsteuerrichtlinie ein, auch wenn dies für die Finanzdienstleistungen und die Wirtschaftsbeteiligten nicht so positive Folgen haben könnte. Die Definition der steuerbefreiten Tätigkeiten ist nicht immer einfach, wie z.B. bei den Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Verwaltung von speziellen Investmentfonds, die in Italien lange Zeit mit Rechtsunsicherheit behaftet waren. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass die Ausnahmeregelungen nach Ansicht des EuGH eng ausgelegt werden sollten.
Der EuGH hat klargestellt, dass Beratungsdienstleistungen von der Steuer befreit werden können, wenn sie eindeutig, spezifisch und für die Fondsverwaltung wesentlich sind. Das Problem in diesem Zusammenhang wird der Begriff der Verwaltung sein, der unklar ist und auch vom Mehrwertsteuerausschuss nicht geklärt wurde, der bereits 2017 einen vom Steuerpflichtigen geführten Einzelfallansatz vorschlug.
3. Modernisierung der Mehrwertsteuersätze
Italien wendet derzeit vier Mehrwertsteuersätze an: 22% (Standard), 10%, 5% und 4% (ermäßigt). Die Reform zielt darauf ab, diese Sätze an die Flexibilität der EU-Richtlinie 2006/112 anzugleichen, die in Art. 98 ermäßigte Steuersätze nur für den Verkauf von Waren und Dienstleistungen zulässt, die in 24 Punkten des Anhangs III der Richtlinie aufgeführt sind. Derselbe Artikel 98 besagt, dass ein Steuersatz von weniger als 5 % auf maximal 7 in Anhang III der Richtlinie aufgeführte Kategorien angewandt werden kann.
Künftig werden die Mehrwertsteuersätze nach dem System der Kombinierten Nomenklatur festgelegt, was zu weniger Unklarheiten führt und die Beteiligung der italienischen Steuerbehörde an der Festlegung der Steuersätze verringert. Dieser Schritt wird zu mehr Transparenz und rechtlicher Vorhersehbarkeit bei der Anwendung der Mehrwertsteuer für ein breites Spektrum von Waren und Dienstleistungen führen.
4. Änderungen des Pro-rata-Mechanismus
Ein alter Kritikpunkt an der italienischen Mehrwertsteuer ist ihr starres "allgemeines Pro-rata"-Vorsteuerabzugssystem, das die tatsächliche Verwendung von Waren und Dienstleistungen nicht widerspiegelt. Wenn der Umsatz des Steuerpflichtigen zwischen steuerpflichtigen und steuerbefreiten Tätigkeiten aufgeteilt werden kann, der Steuerpflichtige aber nachweisen kann, dass fast alle erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen mit mehrwertsteuerpflichtigen Leistungen in Verbindung stehen, kann er aufgrund des Pro-rata-Verfahrens einen geringeren Mehrwertsteuerbetrag abziehen. Auch wenn dieser Mechanismus vom EuGH als zulässig erachtet wurde, scheint er nicht ganz mit dem Grundsatz der Neutralität in Einklang zu stehen. (EuGH, Rechtssache C-378/15, Mercedes Benz Italia SpA gegen Agenzia delle Entrate Direzione Provinciale Roma 3, Para. 50)
Die Reform schlägt einen doppelten Ansatz vor: (i) eine direkte Zuweisungsmethode auf der Grundlage der tatsächlichen Verwendung der Käufe und einen spezifischen Anteil für Waren und Dienstleistungen mit gemischter Verwendung und (ii) ein fakultatives allgemeines Pro-rata-System zur Vereinfachung. Diese Flexibilität zielt darauf ab, die Genauigkeit der Mehrwertsteuererhebung zu verbessern und Italien mit Artikel 173 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Einklang zu bringen, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, Systeme des Vorsteuerabzugs zu verwenden.
5. Reform des Vorsteuerabzugsrechts für Wohnimmobilien
Nach geltendem italienischem Recht ist die Mehrwertsteuer auf Ausgaben im Zusammenhang mit Wohnimmobilien für Unternehmen, die nicht hauptsächlich im Immobilienbereich tätig sind, nicht abzugsfähig. In den neuen Vorschriften wird vorgeschlagen, den Abzug auf der Grundlage der tatsächlichen Nutzung der Immobilien zuzulassen, was Unternehmen, die im Bereich des Wohnungsbaus als Nebentätigkeit tätig sind, erheblich zugute kommen könnte.
6. Zeitplan für den Vorsteuerabzug
Derzeit kann die Mehrwertsteuer nur innerhalb der Frist für die Abgabe der Mehrwertsteuererklärung für das Steuerjahr, in dem die Rechnung erhalten wurde, abgezogen werden. Die Reform ermöglicht es den Unternehmen zu wählen, ob sie den Vorsteuerabzug in dem Jahr vornehmen, in dem der Steueranspruch entsteht, oder in dem Jahr, in dem die Rechnung empfangen wird. Diese Änderung, die insbesondere für Umsätze am Jahresende relevant ist, gibt den Steuerpflichtigen mehr Flexibilität bei der Verwaltung des Cashflows und der Berichtspflichten.
7. Vereinfachung der Regelung für MwSt-Gruppen
Die Regelung für MwSt-Gruppen in Italien unterliegt derzeit der Regel "all in, all out" - sobald ein Unternehmen einer Unternehmensgruppe sich für die Teilnahme entscheidet, müssen alle in Frage kommenden Unternehmen teilnehmen. Die Reform zielt auf flexiblere Kriterien für die Gruppenbildung ab, die eine selektive Einbeziehung ermöglichen und die Verfahrensanforderungen vereinfachen.
8. Kontroverse über die Einfuhrumsatzsteuer
Parallel zur Gesetzesreform hat sich eine bedeutende gerichtliche Herausforderung ergeben. Im Juli 2025 legte das Mailänder Steuergericht zweiter Instanz dem EuGH ein Vorabentscheidungsurteil vor (Rechtssache C-308/25, Isolanti Group), in dem es um die Frage ging, ob Italiens Ausschluss der Einfuhrumsatzsteuer von vereinfachten Verfahren zur Beilegung von Steuerstreitigkeiten gegen EU-Recht verstößt. Der Fall wirft grundsätzliche Fragen zur Neutralität und Verhältnismäßigkeit im Bereich der Mehrwertsteuer auf, insbesondere weil inländische und innergemeinschaftliche Mehrwertsteuerforderungen mit einer Ermäßigung der Steuerschuld von bis zu 95 % beglichen werden können, während Fälle von Einfuhrumsatzsteuer von diesem Vorteil ausgeschlossen sind.
Der EuGH soll feststellen, ob dieser Ausschluss das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und die finanzielle Integrität der EU in Frage stellt, da die Mehrwertsteuer einen wesentlichen Bestandteil der Eigenmittel der Union darstellt. Ein Urteil zu Gunsten des Steuerzahlers könnte für den italienischen Gesetzgeber weitere Reformanstrengungen bedeuten.
Schlussfolgerungen
Mit der vorläufigen Genehmigung des neuen konsolidierten Mehrwertsteuerkodexes und der vollständigen Umsetzung bis August 2025 scheint Italien entschlossen zu sein, die Diskrepanzen zwischen den nationalen und den EU-Mehrwertsteuerregelungen zu beseitigen. Ziel ist es, die Einhaltung der Vorschriften für Privatpersonen und Steuerzahler zu vereinfachen und ihnen Klarheit über die Konzepte von Steuerbefreiungen und -abzügen zu verschaffen, indem die italienischen Rechtsvorschriften an die EU-Vorschriften und -Grundsätze angeglichen werden.
Italiens Mehrwertsteuerreform ist mehr als nur eine inländische Steueranpassung - sie ist ein sehr guter Versuch, sich mit einer supranationalen steuerlichen Vision zu synchronisieren, die auf Einheitlichkeit, Fairness und wirtschaftlicher Rationalität beruht. Bei den letzten Schritten der Gesetzgebung werden alle Augen auf Italien und den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet sein, um zu sehen, ob diese ehrgeizigen Ziele in der Praxis verwirklicht werden können.

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