EuGH, Rechtssache C-791/22: Die wichtigsten Unterschiede zwischen Einfuhrumsatzsteuer und Zollabgaben

Der EuGH-Fall zwischen einer polnischen Person und dem deutschen Hauptzollamt ist ein kurioses Beispiel dafür, welche Regeln für den Ort der Besteuerung gelten, wenn Waren aus Drittländern in ein EU-Land eingeführt und dann in ein anderes EU-Land verbracht und dort verkauft werden. Darüber hinaus unterscheidet und klärt der Fall die Anwendung der Vorschriften des Zollkodex und der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie.
Hintergrund des Falles
Im Jahr 2012 kaufte und importierte ein in Polen ansässiger G.A. 43.760 Zigaretten mit ukrainischen und weißrussischen Steuermarken, aber ohne Steuermarke aus einem EU-Land. Er informierte die polnische Zollbehörde nicht über diese Einfuhr und transportierte die Zigaretten nach Braunschweig, Deutschland, wo sie an einen deutschen Käufer verkauft wurden.
Bei dieser Transaktion wurde der Staatsanwalt verhaftet, und die Zigaretten wurden auf Anordnung des Hauptzollamts Braunschweig (Zollamt) als vorschriftswidrig in das Zollgebiet der EU verbracht beschlagnahmt und vernichtet. Darüber hinaus wurde gegen die G.A. ein Bußgeld in Höhe von 2.006,38 EUR für die in Deutschland geschuldete Einfuhrumsatzsteuer verhängt.
Gegen diesen Bescheid legte die G.A. erfolglos Einspruch ein und klagte vor dem Finanzgericht Hamburg (Finanzgericht). Das Finanzgericht hatte jedoch Zweifel daran, wo die Einfuhrumsatzsteuer anfiel. Während das Zollamt feststellte, dass die Einfuhrumsatzsteuer in Deutschland anfiel, war der Finanzrat der Ansicht, dass der Ort der Einfuhr in Polen lag, dem Land, in dem die Zigaretten in das Wirtschaftsgebiet der EU gelangten.
Das Finanzgericht fügte hinzu, dass der Ort der Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer rechtlich fiktiv sein müsste, damit sie in Deutschland erhoben werden kann. Diese Regelung aus dem deutschen Umsatzsteuergesetz steht im Einklang mit den Bestimmungen des Zollkodex, wonach die Zollschuld als in dem EU-Land entstanden gilt, in dem die Schuld festgestellt wurde, wenn der Betrag unter 5.000 EUR liegt.
Die Schlussfolgerung des Finanzgerichts wirft jedoch die Frage auf, ob eine solche Bestimmung mit der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar ist, was zu Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem EU-Recht führt. In dieser Hinsicht war das Finanzgericht unsicher, ob bestimmte Vorschriften des Zollkodex und der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie miteinander vereinbar sind. Daher beschloss es, dem EuGH eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Hauptfragen aus dem Ersuchen um Vorabentscheidung
Die Hauptfrage, die dem EuGH vorgelegt wurde, war, ob die analoge Anwendung von Artikel 215 Absatz 4 des Zollkodex auf die Einfuhrumsatzsteuer nach einer nationalen Vorschrift, d. h. in Deutschland, gegen die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie verstößt. Genauer gesagt: Verstößt dies gegen die Artikel 30 und 60 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, die einen Regelungsrahmen für die Bestimmung des Ortes der Einfuhr und der Besteuerung für Mehrwertsteuerzwecke vorgeben?
Mit anderen Worten: Der Finanzrat hat den EuGH um Klärung der Frage gebeten, ob die Angleichung der Vorschriften über die Einfuhrumsatzsteuer an die Bestimmungen über die Zollschuld nach nationalem Recht gegen die Anforderungen der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie verstößt und damit möglicherweise das EU-harmonisierte Mehrwertsteuersystem untergräbt.
Geltender Artikel der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie
Artikel 2(1)(d) der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, der Umsätze im Zusammenhang mit der Einfuhr von Gegenständen als mehrwertsteuerpflichtig definiert, ist in diesem Fall entscheidend.
Der zweite relevante Artikel ist Artikel 30, der die Einfuhr von Gegenständen als die Verbringung von Gegenständen, die sich nicht im freien Verkehr befinden, in die EU definiert. Darüber hinaus bestimmt Artikel 60, dass der Ort der Einfuhr von Gegenständen das EU-Land ist, in dem sich die Gegenstände bei der Einfuhr in die EU befinden.
Darüber hinaus regeln die Artikel 70 und 71, wann die Mehrwertsteuer für eingeführte Gegenstände fällig wird, was für diesen Fall von entscheidender Bedeutung ist. Gemäß Artikel 70 wird die Mehrwertsteuer im Allgemeinen bei der Einfuhr von Gegenständen geschuldet. Artikel 71 sieht jedoch Ausnahmen von den allgemeinen Vorschriften für Gegenstände vor, die in ein besonderes Zollverfahren überführt werden, wie z. B. das Versandverfahren, die vorübergehende Verwendung mit Steuerbefreiung oder andere ähnliche Regelungen. Unter diesen Umständen entsteht der Mehrwertsteueranspruch erst dann, wenn diese Regelungen nicht mehr für die Gegenstände gelten.
Unterliegen die eingeführten Gegenstände darüber hinaus Zöllen, Agrarabschöpfungen oder gleichwertigen Abgaben, wird die Mehrwertsteuer gleichzeitig mit diesen Abgaben fällig. Die EU-Mitgliedstaaten müssen die Zeitpunkte, zu denen der Mehrwertsteueranspruch entsteht, an die Zeitpunkte angleichen, die für Zölle gelten, wenn die Waren keinen genannten Abgaben oder Zöllen unterworfen sind.
Neben den Bestimmungen der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie sind die Artikel 202 und 215 Absatz 4 des Zollkodex für diesen Fall von Bedeutung. Nach Artikel 202 entsteht eine Einfuhrzollschuld zu dem Zeitpunkt, zu dem die betreffenden Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet der EU verbracht werden.
Jede Person, die die Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet der EU verbracht hat, die an dem vorschriftswidrigen Verbringen beteiligt war, obwohl sie wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Waren vorschriftswidrig sind, oder die die vorschriftswidrig verbrachten Waren erworben oder besessen hat, obwohl sie wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass sie zum Zeitpunkt des Erwerbs vorschriftswidrig waren, kann als Zollschuldner angesehen werden.
Stellt die Zollbehörde eines EU-Landes fest, dass die Zollschuld unter den in Artikel 202 beschriebenen Umständen in einem anderen EU-Land entstanden ist und weniger als 5.000 EUR beträgt, wird davon ausgegangen, dass die Schuld in dem EU-Land entstanden ist, in dem die Feststellung getroffen wurde.
Nationale deutsche Mehrwertsteuervorschriften
Der einzige relevante Artikel in den deutschen Rechtsvorschriften ist Artikel 21 Absatz 2 des Umsatzsteuergesetzes, der besagt, dass die für Zölle geltenden Vorschriften auch für die Einfuhrumsatzsteuer gelten, allerdings mit den erforderlichen Anpassungen.
Bedeutung des Falles für die Steuerpflichtigen
Die Bedeutung dieser Rechtssache liegt darin, dass sie die Regeln für den Ort der Besteuerung der Einfuhrumsatzsteuer auf Waren, insbesondere auf unrechtmäßig in die EU eingeführte Waren, klärt. Er erklärt die Verbindung zwischen der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie und dem Zollkodex. Außerdem werden die Konflikte gelöst, die sich aus der Anwendung nationaler Vorschriften bei grenzüberschreitenden illegalen Warengeschäften ergeben können.
Außerdem wird geklärt, ob der Ort der Einfuhrumsatzsteuer an das EU-Land gebunden ist, in dem die Waren in das Zollgebiet der EU gelangen, wie in der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegt, oder an das EU-Land, in dem die Zollbehörden die entstandene Zollschuld festgestellt haben, wie es der Zollkodex erlaubt. Dies zu verstehen ist für alle Steuerpflichtigen wichtig, um ihre Mehrwertsteuerschuld zu ermitteln.
Darüber hinaus wird in diesem Fall deutlich, wann eine Zollbehörde eines EU-Landes die Mehrwertsteuer für Handlungen mit Ursprung in einem anderen EU-Land geltend machen kann.
Schließlich verdeutlicht der Fall zwischen einem polnischen Gebietsansässigen und einem deutschen Zollamt die rechtlichen und finanziellen Risiken der Nichteinhaltung der EU-Zoll- und MwSt-Vorschriften.
Analyse der Feststellungen des Gerichtshofs
Nach einer sorgfältigen Prüfung und dem Zitieren einschlägiger Artikel der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie und des Zollkodex stellte der EuGH fest, dass die Vorlagefrage die Frage aufwirft, ob die Anwendung der Zollschuldvorschriften des Zollkodex auf die Einfuhrmehrwertsteuer im Widerspruch zu den Bestimmungen der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie steht, insbesondere bei der Bestimmung des Ortes des Entstehens der Mehrwertsteuer.
Darüber hinaus stellte der EuGH fest, dass zur Bestimmung des Zusammenhangs zwischen Zoll- und Mehrwertsteuerrecht der Anwendungsbereich des Zollrechts geprüft werden muss. In diesem Zusammenhang wies der EuGH darauf hin, dass nach dem Wortlaut von Artikel 71 Absatz 1 Unterabsatz 2 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie dieser Artikel nur dann gilt, wenn ein Steuertatbestand eintritt und der Steueranspruch entsteht. Außerdem werden in diesem Artikel die zollrechtlichen Vorschriften über den Ort der Einfuhr nicht erwähnt.
Eine wörtliche Auslegung dieses Artikels legt nahe, dass der Verweis auf die zollrechtlichen Vorschriften nur bestimmt, wann ein Steuertatbestand eingetreten ist und wann die Mehrwertsteuer geschuldet wird. Die Bestimmung des Ortes der Einfuhr, die in gesonderten Vorschriften geregelt ist, wird jedoch nicht erwähnt.
Der EuGH fügte hinzu, dass es keine Verbindung zwischen der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie und dem Zollkodex gibt, da Artikel 71 zu dem Kapitel gehört, in dem die Steuertatbestände und die Veränderlichkeit der Mehrwertsteuer definiert werden, während Artikel 60 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie den Ort der steuerbaren Umsätze regelt. Genauer gesagt legt Artikel 71 keine Regeln zur Bestimmung des Ortes der Einfuhr für die Erhebung der Mehrwertsteuer fest.
Dennoch erkannte der EuGH an, dass aufgrund der Ähnlichkeit zwischen der Einfuhrmehrwertsteuer und den Zöllen bei einer unrechtmäßigen Einfuhr in die EU zusätzlich zu den Zöllen auch die Mehrwertsteuer erhoben werden kann. In diesen Fällen wird vermutet, dass die Waren in das Wirtschaftsgebiet der EU gelangt sind und dort verbraucht wurden, was die Mehrwertsteuer auslöste.
Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden, wenn nachgewiesen wird, dass die Waren zwar gegen das Zollrecht eines EU-Landes verstoßen haben, aber über ein anderes EU-Land in die EU verbracht wurden, wo sie für den Verbrauch bestimmt waren. In diesem Fall tritt der Steuertatbestand in diesem anderen EU-Land ein.
Bei seiner Analyse des Falles berücksichtigte der EuGH den Grundsatz der territorialen Anwendung der Mehrwertsteuer, wonach die Einnahmen aus der Einfuhrumsatzsteuer dem EU-Land zustehen, in dem der Endverbrauch stattfindet. Im Gegensatz dazu werden die Zölle der gesamten EU zugewiesen, unabhängig davon, welches EU-Land sie erhebt.
Wie der EuGH feststellte, gelangten die Zigaretten in Polen in die EU und waren wahrscheinlich für den dortigen Verbrauch bestimmt. Als vorlegendes Gericht muss das Finanzgericht dies jedoch überprüfen. Wenn das Finanzgericht dies prüft, ist Polen nach der Rechtsprechung das Land, in dem die Einfuhrumsatzsteuer anfällt.
Würde der Ort der Einfuhr stattdessen durch Anwendung von Artikel 215 Absatz 4 des Zollkodex bestimmt, würden die Mehrwertsteuereinnahmen dem Land zufließen, in dem die Zollschuld festgestellt wurde, was in diesem Fall Deutschland ist. Dies würde jedoch dem Grundsatz der territorialen Anwendung der Mehrwertsteuer widersprechen.
Wenn das Finanzgericht feststellt, dass die Zigaretten für den Verbrauch in Polen bestimmt waren, müssten die deutschen Behörden außerdem Informationen über die Beschlagnahme an die polnischen Behörden weitergeben, um mögliche Steuerausfälle in Polen zu verhindern, wie es die EU-Vorschriften verlangen.
Endgültige Entscheidung des Gerichts
Der EuGH kam zu dem Schluss, dass die Vorschriften der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Artikel 30, 60 und 71 Absatz 1, es den nationalen Rechtsvorschriften nicht gestatten, Artikel 215 Absatz 4 des Zollkodex bei der Bestimmung des Ortes der Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer analog anzuwenden. Mit anderen Worten, der Ort der Einfuhrumsatzsteuer muss gemäß der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt werden und nicht anhand von Bestimmungen, die für Zölle gemäß dem Zollkodex gelten.
In diesem Fall war der Ort der Einfuhr Polen, was bedeutet, dass die Einfuhrumsatzsteuer in Polen und nicht in Deutschland geschuldet wurde. Außerdem waren die deutschen Vorschriften, die das Zollamt bei seiner Entscheidung anwandte, nicht mit der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar. Die Anwendung dieser Vorschriften hätte Polen daran gehindert, Mehrwertsteuereinnahmen zu erhalten, auf die es aufgrund des Grundsatzes der Anwendung der Mehrwertsteuer Anspruch hat.
Schlussfolgerung
Aus diesem Fall lassen sich mehrere Schlüsse ziehen. Die erste ist, dass die Einfuhrumsatzsteuer und die Zölle unterschiedliche Begünstigte und Zwecke haben. Während die Zölle der EU gehören, unabhängig davon, welches EU-Land sie erhebt, gehören die Einnahmen aus der Einfuhrumsatzsteuer dem EU-Land, in dem der Endverbrauch stattfindet.
Die folgende Erkenntnis unterstreicht, wie wichtig es ist, die nationalen Gesetze an die EU-Mehrwertsteuervorschriften anzugleichen, um ein harmonisiertes EU-Mehrwertsteuersystem zu schaffen und aufrechtzuerhalten, und wie eine Fehlinterpretation oder Unvereinbarkeit zwischen nationalen und EU-Vorschriften zu einer unangemessenen Verteilung der Mehrwertsteuer führen kann.
Schließlich unterstreicht der Fall die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den EU-Ländern, um Steuerausfälle zu verhindern und eine ordnungsgemäße Erhebung der Mehrwertsteuer im Falle unrechtmäßiger Einfuhren sicherzustellen.
Quelle: Rechtssache C-791/22 - G.A. gegen Hauptzollamt Braunschweig, Deutschland, EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates, Europäische Kommission

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