EU-Mehrwertsteuer-Ausnahmeverfahren für digitale Berichterstattung und elektronische Rechnungsstellung

Die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie ist ein bekannter Rechtsakt, der das Rückgrat des harmonisierten Mehrwertsteuersystems in den EU-Mitgliedstaaten bildet. Sie gewährleistet eine kohärente Anwendung und reduziert Handelshemmnisse innerhalb des Binnenmarktes. Mit den Veränderungen in der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung sind die EU-Länder jedoch gezwungen, effizientere Mechanismen für die Einhaltung der Mehrwertsteuer und die Betrugsbekämpfung zu suchen, die ihren nationalen Bedürfnissen entsprechen.
Ein solcher Mechanismus oder eine solche Initiative ist die Einführung nationaler digitaler Meldesysteme, die manchmal von den einheitlichen Regeln der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie abweichen. Um ihre nationalen Bedürfnisse zu erfüllen und ein nationales Meldesystem einzuführen, müssen die EU-Länder einen Vorschlag einreichen und die Zustimmung der Europäischen Kommission erhalten. Das Verfahren zur Erlangung einer Ausnahmeregelung von der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie ist streng definiert und wahrt die Integrität des EU-weiten Steuersystems, während es gleichzeitig den nationalen Interessen Rechnung trägt.
Rechtlicher Rahmen für Ausnahmeregelungen
Artikel 395 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie bildet die Rechtsgrundlage für Ausnahmeregelungen. Nach diesem Artikel können die EU-Mitgliedstaaten bei der Europäischen Kommission die Genehmigung zur Einführung einer von der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie abweichenden Sondermaßnahme beantragen. Das Hauptziel einer solchen Maßnahme muss darin bestehen, die Erhebung der Mehrwertsteuer zu vereinfachen oder bestimmte Formen der Steuerhinterziehung zu verhindern, ohne den Gesamtbetrag der von dem Mitgliedstaat erhobenen Steuern zu beeinträchtigen.
In der Praxis schützt dieses Rechtsinstrument das EU-Steuersystem. Es stellt sicher, dass nationale Initiativen, selbst wenn sie voneinander abweichen, mit der umfassenderen Politik für Marktgerechtigkeit und Steuerneutralität auf EU-Ebene in Einklang stehen.
Verfahren zur Beantragung einer Ausnahmeregelung
Das Verfahren zur Beantragung einer Ausnahmeregelung von der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie ist strukturiert und transparent gestaltet. Es gewährleistet Rechenschaftspflicht und Kohärenz innerhalb des EU-Steuersystems. Das Verfahren wird eingeleitet, wenn ein EU-Mitgliedstaat einen förmlichen Antrag bei der Europäischen Kommission einreicht.
Der Antrag muss umfassende Unterlagen enthalten, in denen die Art der vorgeschlagenen Maßnahme, die spezifische Bestimmung der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, von der sie abweicht, und die Ziele, die mit der Umsetzung einer solchen Maßnahme erreicht werden sollen, erläutert und detailliert beschrieben werden.
Der antragstellende Mitgliedstaat muss nachweisen, dass die vorgeschlagene Maßnahme verhältnismäßig und notwendig ist, und sie gegebenenfalls mit Daten oder Analysen untermauern. Darüber hinaus muss das EU-Land die betroffenen Interessengruppen, einschließlich Unternehmen und Handelsverbände, konsultieren, um eine Folgenabschätzung durchzuführen und die Ergebnisse in dem Antrag vorzulegen.
Nach Erhalt prüft die Europäische Kommission den Antrag gründlich. Wenn sie zu dem Schluss kommt, dass einige Informationen fehlen, teilt sie dies dem Mitgliedstaat innerhalb von zwei Monaten mit. Sobald die Kommission alle erforderlichen Informationen erhalten und die Bewertung abgeschlossen hat, informiert sie den Mitgliedstaat und leitet den Antrag und die Anfrage innerhalb eines Monats an andere EU-Mitgliedstaaten weiter.
Innerhalb von drei Monaten nach der Benachrichtigung des Mitgliedstaats, der die Genehmigung für eine Ausnahmeregelung beantragt hat, entwirft die Kommission den Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss des Rates, der dann dem Rat der Europäischen Union vorgelegt wird. Wenn die Kommission die Ausnahmeregelung nicht genehmigt oder Einwände dagegen erhebt, erläutert sie ihre Einwände gegen die Durchführung der beantragten Maßnahmen. Damit ein Antrag wirksam wird, muss der Rat den von der Kommission vorgelegten Entwurf genehmigen.
In jedem Fall ist das Verfahren innerhalb von acht Monaten abgeschlossen, nachdem das EU-Land seinen Antrag bei der Europäischen Kommission eingereicht hat.
Deutschlands Antrag auf Ausnahmeregelung: Schlüssel für die obligatorische elektronische Rechnungsstellung im B2B-Bereich
Der Antrag Deutschlands auf Einführung einer von den Artikeln 218 und 232 abweichenden Sondermaßnahme, die von den allgemeinen EU-Mehrwertsteuervorschriften abweicht, ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie ein EU-Mitgliedstaat das Ausnahmeregelungsverfahren abschließen kann, um ein digitales Meldesystem einzuführen, das die Einhaltung der MwSt-Vorschriften verbessert.
Deutschland schlug die Einführung eines obligatorischen elektronischen Rechnungsstellungssystems für inländische Umsätze zwischen Steuerpflichtigen vor, um auf den zunehmenden Mehrwertsteuerbetrug und die Notwendigkeit einer sichereren und präziseren Erfassung von Transaktionsdaten zu reagieren. Deutschland wollte ein obligatorisches elektronisches Rechnungsstellungssystem für B2B-Umsätze einführen.
Dieses System wich jedoch von den allgemeinen Rechnungsstellungsvorschriften der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie ab, was Deutschland dazu veranlasste, einen förmlichen Antrag auf eine Ausnahmeregelung gemäß Artikel 395 zu stellen. Die Hauptgründe für die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnungsstellung im B2B-Bereich sind die Bekämpfung von Steuerbetrug und -hinterziehung sowie die Verbesserung der Mehrwertsteuererhebung. Außerdem wurde in dem Antrag das Potenzial eines solchen Systems zur Verringerung des Verwaltungsaufwands und der Mehrwertsteuerlücken dargelegt.
Darüber hinaus enthielt der Antrag eine Folgenabschätzung, die das Ergebnis einer umfassenden Konsultation der wichtigsten Interessengruppen, wie der Steuerbehörde und der Steuerpflichtigen, war. Die Schlussfolgerung war, dass die obligatorische elektronische Rechnungsstellung im B2B-Bereich keine Belastung für die Unternehmen darstellen würde und dass sie langfristig von der Automatisierung von Prozessen wie der Buchhaltung und der Beseitigung von Kosten im Zusammenhang mit Papierrechnungen, wie der Ausstellung, dem Versand, der Bearbeitung und der Aufbewahrung, profitieren würden.
Die Europäische Kommission und der Rat der Europäischen Union erkannten die Bedeutung einer systematischen Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs an und befürworteten die Forderung nach einer gezielten Bewertung. In seinem abschließenden Schreiben genehmigte der Rat der Europäischen Union die Ausnahmeregelung und gewährte Deutschland drei Jahre, vom 1. Januar 2025 bis zum 31. Dezember 2027, um die verpflichtende elektronische Rechnungsstellung im B2B-Bereich einzuführen.
Fazit
Die EU-Länder, die bereits das Recht haben, von der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie abzuweichen, müssen nicht nur die Genehmigung zur Umsetzung der neuen Maßnahmen erhalten, sondern auch das gleiche Verfahren durchlaufen, wenn sie die verpflichtende elektronische Rechnungsstellung nach der zuvor erhaltenen Genehmigung weiter anwenden wollen. So hat Italien dasselbe Verfahren durchlaufen, um die Genehmigung zur Anwendung der obligatorischen elektronischen Rechnungsstellung zu erhalten, da es berechtigt war, die Sondermaßnahme bis zum 31. Dezember 2024 zu nutzen.
Ausnahmeregelungen von der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie sind für die EU-Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung, damit sie ihre Mehrwertsteuermaßnahmen auf ihre besonderen Wirtschafts- und Marktbedürfnisse zuschneiden können, ohne grundlegende EU-Prinzipien zu verletzen oder zu gefährden. Das Verfahren mag rigoros erscheinen, aber es spiegelt das Gleichgewicht zwischen nationaler Autonomie und kollektiven Anstrengungen zur Entwicklung eines stabilen und harmonisierten EU-Marktes und Mehrwertsteuersystems wider.
Quelle: EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, Europäische Kommission - Ausnahmeregelungen für die Mehrwertsteuer, EU-Richtlinie 2006/69/EG, Vorschlag für eine Entscheidung zur Durchführung der Entscheidung 2023/0193(NLE), Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss 2024/0246 (NLE)

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