Mehrwertsteuer und öffentlich-rechtliche Rundfunkbeiträge: Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Rechtssache C-573/22 des EuGH

Einleitung
Die mehrwertsteuerliche Behandlung von Pflichtbeiträgen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist seit langem ein komplexes Thema in der Europäischen Union. Viele EU-Mitgliedstaaten erheben Abgaben zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, um deren Unabhängigkeit von kommerziellen Einnahmen zu gewährleisten. Die Frage, ob es sich bei diesen Abgaben um steuerpflichtige Leistungen im Sinne des Mehrwertsteuerrechts handelt, hat jedoch Rechtsstreitigkeiten ausgelöst, die je nach historischem Steuersystem, nationaler Politik und technischem Fortschritt unterschiedlich ausgelegt werden.
Das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-573/22 schafft in dieser Frage Klarheit, insbesondere in Bezug auf den dänischen Medienbeitrag, eine Abgabe, die von Privatpersonen erhoben wird, die Geräte zum Empfang von Radio- und Fernsehsendungen besitzen. Die Kläger, dänische Steuerzahler, argumentierten, dass diese Abgabe nicht der Mehrwertsteuer unterliegen sollte, da sie nicht die Standardkriterien für einen steuerbaren Umsatz gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c der Mehrwertsteuerrichtlinie (2006/112/EG) erfülle. Sie machten ferner geltend, dass spätere Änderungen an der Gebühr, einschließlich ihrer Ausweitung auf Smartphones, Computer und andere digitale Geräte, ihre Natur grundlegend verändert hätten, so dass sich Dänemark nicht mehr auf die Stillhalteklausel nach Artikel 370 der Mehrwertsteuerrichtlinie berufen könne.
Der EuGH entschied zugunsten Dänemarks und bestätigte, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunkbeitrag gemäß Artikel 370 weiterhin der Mehrwertsteuer unterliegt. Diese Entscheidung hat weiterreichende Auswirkungen, insbesondere auf die Frage, wie die Mitgliedstaaten historische Mehrwertsteuersysteme beibehalten können, auf die Auswirkungen des technischen Fortschritts auf die Mehrwertsteuerklassifikationen und auf das Verhältnis zwischen der Zuweisung von Steuereinnahmen und der Mehrwertsteuerpflicht.
Dieser Artikel bietet eine eingehende Untersuchung des rechtlichen Hintergrunds, der vorgebrachten Argumente, der Argumentation des EuGH und der weitergehenden Auswirkungen des Urteils auf das Mehrwertsteuerrecht in der EU.
Hintergrund des Falles: Die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeitrags in Dänemark
Die Ursprünge des dänischen Rundfunkbeitrags
Der öffentlich-rechtliche Rundfunkbeitrag in Dänemark hat eine fast hundertjährige Geschichte. Ursprünglich 1926 als Rundfunkgebühr eingeführt, wurde die Abgabe 1951 auf Fernsehempfänger ausgeweitet. Die Gebühr blieb jahrzehntelang obligatorisch und diente als Hauptfinanzierungsquelle für Dänemarks nationale Rundfunkanstalt, Danmarks Radio (DR) und später TV2.
Die Einführung der Mehrwertsteuer in Dänemark im Jahr 1967 führte dazu, dass diese Gebühr als steuerpflichtige Dienstleistung eingestuft wurde. Mit dem Beitritt Dänemarks zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1973 wurde das dänische Mehrwertsteuersystem schrittweise an den EU-Mehrwertsteuersystem-Rahmen angeglichen, was in der Annahme der Richtlinie 2006/112/EG gipfelte.
Da die Abgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk jedoch bereits vor dem 1. Januar 1978 besteuert wurde, durfte Dänemark sie gemäß Artikel 370 der MwSt-Richtlinie weiterhin besteuern. Diese Stillhalteklausel erlaubte es den Mitgliedstaaten, bestimmte bereits bestehende Anwendungen der Mehrwertsteuer beizubehalten, auch wenn diese Umsätze nach dem heutigen harmonisierten Mehrwertsteuersystem nicht steuerbar wären.
Die Ausweitung der Abgabe und die rechtliche Anfechtung
In den frühen 2000er Jahren veränderte sich die dänische Medienlandschaft erheblich. Der traditionelle Radio- und Fernsehapparat war nicht mehr das einzige Mittel, um Zugang zum öffentlichen Rundfunk zu erhalten. Stattdessen konsumierte eine wachsende Zahl von Dänen öffentlich-rechtliche Inhalte über digitale Geräte wie Computer, Smartphones und Tablets.
Als Reaktion darauf erweiterte die dänische Regierung 2006 den Umfang des Rundfunkbeitrags. Zu den wichtigsten Änderungen gehören:
Verbreiterung der Bemessungsgrundlage: Die Abgabe gilt nun nicht mehr nur für Radio- und Fernsehgeräte, sondern für alle Geräte, die öffentliche Sendungen empfangen können, einschließlich Smartphones und Computer.
Umbenennung der Abgabe: Es handelt sich nicht mehr um eine "Fernsehgebühr", sondern um einen allgemeinen "Medienbeitrag", der das moderne Mediennutzungsmodell widerspiegelt.
Teilweise Umschichtung der Mittel: Während der größte Teil des Abgabenaufkommens nach wie vor DR und TV2 finanziert, wurde ein kleiner Teil in andere medienbezogene Aktivitäten umgeleitet, z. B. in die Filmproduktion und in Subventionen für private Sender, die öffentlich-rechtliche Inhalte anbieten.
Diese Änderungen lösten einen Rechtsstreit aus. Eine Gruppe dänischer Steuerzahler focht die mehrwertsteuerliche Behandlung der Gebühr an und argumentierte, dass diese Änderungen die Art der Gebühr grundlegend verändert hätten. Ihre Argumentation stützte sich auf die folgenden Punkte:
Die Abgabe sei kein steuerpflichtiger Umsatz im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c der MwSt-Richtlinie, da sie keine Gegenleistung für eine bestimmte Dienstleistung darstelle, die der Steuerpflichtige erhalten habe.
Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Abgabe auf digitale Geräte komme der Einführung einer neuen Steuer gleich, so dass sich Dänemark nicht mehr auf Artikel 370 berufen könne, um die Anwendung der Mehrwertsteuer zu rechtfertigen.
Ein Teil der eingenommenen Mittel wurde nun für andere Zwecke als den Rundfunk verwendet, was bedeutete, dass die Gebühr nicht mehr ausschließlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanzierte, wodurch die ursprüngliche Rechtfertigung der Mehrwertsteuer untergraben wurde.
Das dänische Østre Landsret (Oberstes Gericht Ost) hat den Fall an den EuGH verwiesen, um zu klären, ob die mehrwertsteuerliche Behandlung des Medienbeitrags durch Dänemark nach EU-Mehrwertsteuerrecht rechtmäßig ist.
Der rechtliche Rahmen: Die wichtigsten zu prüfenden Mehrwertsteuervorschriften
1. Mehrwertsteuerpflicht und der Begriff der Gegenleistung
Gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c der Mehrwertsteuerrichtlinie (2006/112/EG) gilt die Mehrwertsteuer nur für Dienstleistungen, die gegen Entgelt erbracht werden. Wesentliches Kriterium für die Steuerpflicht ist das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Zahlung und der vom Verbraucher erhaltenen Leistung. Die Kläger in diesem Fall argumentierten, dass der Medienbeitrag diesen direkten Zusammenhang nicht aufweise, da es sich um eine gesetzliche Abgabe und nicht um einen freiwilligen Vorgang zwischen einem Anbieter und einem Verbraucher handele.
2. Die Stillhalteklausel in Artikel 370
Artikel 370 sieht eine Ausnahme von den modernen Mehrwertsteuervorschriften vor, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, bestimmte Umsätze, die bereits vor dem 1. Januar 1978 mehrwertsteuerpflichtig waren, weiterhin der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, selbst wenn diese Umsätze heute von der Mehrwertsteuer befreit wären.
Die zentrale Rechtsfrage war, ob die von Dänemark nach 1978 vorgenommenen Änderungen die Steuer so grundlegend verändert haben, dass sie nicht mehr unter den Schutz von Artikel 370 fallen.
3. Anhang X, Teil A, Punkt 2: Mehrwertsteuerbefreiung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Nach Anhang X Teil A Nummer 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie sind nichtkommerzielle Tätigkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks generell von der Mehrwertsteuer befreit. Wenn ein Mitgliedstaat diese Tätigkeiten jedoch vor 1978 der Mehrwertsteuer unterwarf, konnte er dies gemäß Artikel 370 weiterhin tun. Die Kläger machten geltend, dass die Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlage und die Neuzuweisung von Mitteln durch Dänemark dazu führten, dass die Gebühr nicht mehr in den Anwendungsbereich des ursprünglichen Mehrwertsteuerantrags falle, so dass die Befreiung nach Artikel 370 ungültig sei.
EuGH-Urteil: Dänemark setzt sich durch
Der EuGH entschied zu Gunsten Dänemarks und bestätigte die Gültigkeit der dänischen Mehrwertsteueranwendung auf den Medienbeitrag. Die Richter erkannten an, dass sich der Zugang zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch den technologischen Fortschritt zwar verändert hat, der grundsätzliche Charakter der Abgabe aber erhalten geblieben ist. Die Entscheidung Dänemarks, die Abgabe auf moderne digitale Geräte auszuweiten, wurde nicht als Schaffung einer neuen Steuer, sondern als Anpassung an die sich entwickelnde Medienlandschaft angesehen.
Außerdem stellte das Gericht fest, dass trotz geringfügiger Umschichtungen der Kernzweck der Abgabe - die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - unangetastet blieb. Solange die Hauptfunktion des Beitrags nicht von diesem Zweck abweicht, ist Dänemark berechtigt, die Mehrwertsteuer auf die Abgabe gemäß Artikel 370 beizubehalten. Auf diese Weise unterstrich das Urteil die Bedeutung historischer Besteuerungsrechte innerhalb der EU und bestätigte, dass die Mitgliedstaaten seit langem bestehende Mehrwertsteueranwendungen auch angesichts sich ändernder technologischer Realitäten beibehalten können.
Schlussfolgerung
Der dänische Medienbeitrag blieb gemäß Artikel 370 mehrwertsteuerpflichtig, da er bereits vor dem 1. Januar 1978 besteuert wurde und sich sein Wesen nicht grundlegend geändert hatte.
Die Ausweitung der Steuerbemessungsgrundlage auf digitale Geräte stellte keine neue Steuer dar, sondern spiegelte lediglich den technischen Fortschritt wider. Da die Besteuerungsgrundlage nach wie vor der Besitz eines Geräts ist, mit dem Sendungen empfangen werden können, fällt die Abgabe weiterhin in den Anwendungsbereich des ursprünglichen Mehrwertsteuerantrags.
Die teilweise Umwidmung von Mitteln änderte nichts an der grundsätzlichen Natur der Abgabe. Solange der Hauptzweck der Abgabe die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bleibt, stellen geringfügige Umschichtungen der Einnahmen die Berufung Dänemarks auf Artikel 370 nicht in Frage.
Das Urteil des EuGH in dieser Rechtssache schafft wichtige Rechtsklarheit über die Stillhaltevorschriften für die Mehrwertsteuer und ihre Anwendbarkeit auf seit langem bestehende Steuerregelungen in der EU. Die Rechtssache bestätigt, dass die Mitgliedstaaten historische Mehrwertsteueranwendungen gemäß Artikel 370 rechtmäßig beibehalten können, selbst wenn sich die Steuerstrukturen weiterentwickeln, um neuen Technologien und politischen Anpassungen Rechnung zu tragen.

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