Können regionale Steuern gegen die EU-Mehrwertsteuervorschriften verstoßen? EuGH-Urteil in der Rechtssache C-712/19 (Novo Banco) erläutert

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Im Jahr 2021 verkündete der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil in der Rechtssache zwischen der Novo Banco, einem Kreditinstitut mit Sitz in Portugal und einer Zweigstelle in Spanien, und der Regierung der autonomen Gemeinschaft Andalusien.
In der Rechtssache geht es darum, ob die IDECA-Steuer, eine direkte Steuer der Autonomen Gemeinschaft Andalusien, mit der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar ist.
Hintergrund der Rechtssache
Im Jahr 2012 wurden gegen Novo Banco mehrere Steuerbescheide bezüglich der IDECA-Steuer erlassen. Nach Erhalt der Steuerbescheide legte Novo Banco gegen diese Bescheide Einspruch beim Obersten Finanzgericht von Andalusien bzw. beim Obersten Gerichtshof ein, wobei beide Instanzen die Einsprüche zurückwiesen. Die Ablehnung der Einsprüche führte zu einem Gerichtsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof Spaniens (OGH).
Novo Banco machte geltend, dass die IDECA-Steuer gegen die wichtigsten Bestimmungen des EU-Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (EU-Vertrag) verstößt, da sie Banken, die nicht in Andalusien ansässig sind, diskriminiert.
Konkret argumentierte die Bank, dass die Struktur der Steuer, insbesondere die Abzüge, die in dieser Region ansässige Institute begünstigen, wie z. B. ein allgemeiner Abzug von 200 000 EUR, zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung ähnlicher Institute je nach ihrem Standort beiträgt. Die Bank fügte hinzu, dass ähnliche Institute aus anderen EU-Ländern durch diese nachteiligen Maßnahmen besonders gefährdet seien.
Darüber hinaus machte Novo Banco geltend, dass es sich bei der IDECA-Steuer im Grunde um eine indirekte Steuer handele, da sie effektiv die Einlagentätigkeit besteuere, die nach der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie befreit sei.
Daher bezweifelte der Oberste Gerichtshof, dass die IDECA mit der Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar ist, die Finanztransaktionen im Zusammenhang mit Einlagen von der Mehrwertsteuer ausnimmt und die Einführung neuer indirekter Steuern, die der Mehrwertsteuer ihrem Wesen nach ähnlich sind, einschränkt. Daher hat sich der Oberste Gerichtshof mit einem Ersuchen um eine Vorabentscheidung an den EuGH gewandt.
Hauptfragen aus dem Ersuchen um Vorabentscheidung
Der Oberste Gerichtshof fragte den EuGH, ob das IDECA-Abzugssystem, das vor allem in Andalusien ansässige Kreditinstitute begünstigt, gegen die EU-Rechtsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr gemäß dem EU-Vertrag verstößt.
Darüber hinaus stellte der Oberste Gerichtshof die Frage, ob das IDECA, obwohl es offiziell als direkte Steuer definiert ist, stattdessen als indirekte Steuer behandelt werden sollte. Sollte diese Frage bejaht werden, stellt sich die Frage, ob das IDECA mit der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar ist, insbesondere mit den Artikeln 401 und 135 Absatz 1 Buchstabe d, die mehrwertsteuerähnliche Steuern auf Tätigkeiten verbieten, die bereits von der Mehrwertsteuer befreit sind, wie beispielsweise Einlagengeschäfte.
Anwendbarer Artikel der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie
Aus den Fragen des Obersten Gerichtshofs geht hervor, dass sich die erste Frage unmittelbar auf die Auslegung des EU-Vertrags bezieht. Die zweite Frage bezieht sich jedoch auf Bestimmungen der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, genauer gesagt auf Artikel 135 Absatz 1 Buchstabe d und Artikel 401.
Gemäß Artikel 135 Absatz 1 Buchstabe d) müssen die EU-Länder Umsätze im Zusammenhang mit Verhandlungen über Einlagen und Girokonten, Zahlungen, Überweisungen, Schulden, Schecks und andere handelbare Instrumente von der Mehrwertsteuer befreien.
Artikel 401 besagt, dass die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie die EU-Länder nicht daran hindert, andere Arten von Steuern beizubehalten oder zu erheben, z. B. Steuern auf Versicherungen, Glücksspiele, verbrauchssteuerpflichtige Waren oder Stempelgebühren, solange diese Steuern nicht als Umsatzsteuern wie die Mehrwertsteuer angesehen werden. Die Einführung und Erhebung solcher Steuern darf jedoch keine grenzüberschreitenden Handelshemmnisse schaffen oder zollähnliche Formalitäten an den Binnengrenzen der EU erfordern.
Nationale MwSt-Vorschriften in Spanien
Aufgrund des Charakters dieses speziellen Falles hat der EuGH die Bestimmungen des spanischen Mehrwertsteuergesetzes nicht geprüft. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Bestimmungen des Gesetzes 11/2010 über steuerliche Maßnahmen zur Verringerung des öffentlichen Defizits und der Nachhaltigkeit der Autonomen Gemeinschaft Andalusien. Mit diesem Gesetz wurde die IDECA-Steuer eingeführt.
Der EuGH konzentrierte sich auf Artikel 6, in dem Art und Zweck der Steuer, der Steuertatbestand, die Steuerpflichtigen, die der IDECA-Steuer unterliegen, die Steuerbemessungsgrundlage, die Berechnung der Steuer und der Besteuerungszeitraum definiert sind.
Darüber hinaus stellte der EuGH fest, dass die andalusische Regierung, als die spanische Regierung am 1. Januar 2013 eine nationale Steuer auf Bankeinlagen einführte, beschloss, ihre eigene Einlagensteuer, IDECA, auszusetzen, solange die nationale Steuer die gleiche Tätigkeit erfasste.
Bedeutung des Falles für Steuerpflichtige
Der Fall Novo Banco ist in erster Linie für Steuerpflichtige von Bedeutung, die in der Finanzbranche tätig sind, insbesondere für solche, die in der gesamten EU tätig sind, denn er verdeutlicht, wie nationale oder regionale Steuern mit den grundlegenden EU-Prinzipien und den MwSt-Vorschriften in Einklang gebracht werden müssen.
Darüber hinaus beleuchtet der Fall Situationen, in denen Steuern, die auf nationaler Ebene offiziell als direkte Steuern bezeichnet werden, in der Praxis in den Anwendungsbereich des EU-Mehrwertsteuerrechts fallen können, wenn sie tatsächlich wirtschaftliche Tätigkeiten besteuern, die denen ähneln, die bereits durch die Mehrwertsteuerrichtlinie geregelt sind.
Daher können grenzüberschreitend tätige Steuerpflichtige, nicht nur im Finanzsektor, die Schlussfolgerung aus diesem Fall nutzen, um festzustellen, ob andere auf nationaler Ebene eingeführte Steuern gegen die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie verstoßen, und so ihre Rechte schützen.
Analyse der Feststellungen des Gerichtshofs
In der ersten Frage, die sich auf die Bestimmung des EU-Vertrags bezieht, betonte der EuGH, dass das IDECA auf Einlagen von Kunden in Andalusien tätiger Kreditinstitute Anwendung findet. Darüber hinaus sieht das Gesetz zwei Arten von Abzügen vor, nämlich allgemeine und spezifische, die nur für Institute mit Sitz oder Niederlassung in Andalusien gelten.
Der EuGH stellte fest, dass diese Praxis die Frage aufwirft, ob ein solches System Institute aus anderen Regionen oder EU-Ländern in unfairer Weise diskriminiert und gegen EU-Vorschriften verstößt.
Der allgemeine IDECA-Abzug umfasst zwei Abzüge: einen Abzug in Höhe von 200.000 EUR für Banken mit Sitz in Andalusien und einen weiteren Abzug auf der Grundlage der Anzahl der Zweigstellen in der Region, der je nach Gemeindegröße zwischen 5.000 und 7.500 EUR pro Zweigstelle liegt.
Der EuGH untersuchte daher, ob diese Abzüge Kreditinstitute mit Sitz außerhalb Andalusiens diskriminieren, unabhängig davon, ob sie ihren Sitz in Spanien oder in anderen EU-Ländern haben. Außerdem wollte der EuGH feststellen, ob dies gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt.
Der zweite Teil der Frage betrifft die spezifischen Abzüge, die für Kredite, Darlehen und Investitionen gelten, die für Projekte in Andalusien bestimmt sind, was bedeutet, dass sie dazu dienen, den Kapitalfluss zu lenken und in erster Linie den freien Kapitalverkehr beeinträchtigen. Der EuGH stellte fest, dass diese Art von Abzügen es den Kreditinstituten ermöglicht, die IDECA-Steuer um die Beträge von Krediten und Investitionen in andalusische Projekte zu reduzieren, die mit einer wirtschaftlichen Nachhaltigkeitsstrategie oder sozial nützlichen Projekten verbunden sind.
Der Zweck des Abzugs besteht in erster Linie darin, Investitionen in Andalusien zu fördern und das regionale Sparen zu unterstützen. Die Besteuerung von Einlagen, die nicht für andalusische Projekte verwendet werden, kann jedoch zu einem Ungleichgewicht führen, das Investitionen außerhalb der Region abschrecken könnte.
In Bezug auf die zweite Frage, die sich auf die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie bezieht, genauer gesagt, ob die spanische Regionalsteuer IDECA im Widerspruch zur EU-Mehrwertsteuerrichtlinie steht, betonte der EuGH, dass Artikel 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie es den EU-Ländern erlaubt, Steuern einzuführen oder beizubehalten, die nicht als Umsatzsteuern gelten. Diesem Recht sind jedoch Grenzen gesetzt. Bei der Einführung dieser Steuern müssen die EU-Länder darauf achten, keine zollähnlichen Formalitäten zwischen den EU-Ländern einzuführen.
Um festzustellen, ob die Steuer den Waren- und Dienstleistungsverkehr in einer mit der Mehrwertsteuer vergleichbaren Weise beeinträchtigt, hat der EuGH die Kriterien dafür festgelegt, ob eine nationale Steuer als Umsatzsteuer einzustufen und daher gemäß Artikel 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie mit dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem unvereinbar ist.
Selbst wenn eine Steuer nicht in jeder Hinsicht mit der Mehrwertsteuer identisch ist, kann sie dennoch unvereinbar sein, wenn sie genau die Merkmale der Mehrwertsteuer aufweist. Nach ständiger Rechtsprechung ähnelt eine Steuer der Mehrwertsteuer, wenn sie allgemein auf Umsätze mit Gegenständen oder Dienstleistungen anwendbar ist, proportional zu dem vom Lieferer in Rechnung gestellten Preis ist und auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben wird, unabhängig von der Zahl der vorangegangenen Umsätze.
Zu den weiteren Kriterien gehört der Abzug der in früheren Phasen gezahlten Beträge, so dass auf jeder Stufe nur der Mehrwert besteuert wird und die endgültige Last beim Verbraucher liegt. Erfüllt eine Steuer auch nur eines dieser Merkmale der Mehrwertsteuer nicht, so verbietet Artikel 401 ihre Einführung oder Beibehaltung nicht.
Endgültige Entscheidung des Gerichtshofs
Der EuGH entschied, dass die EU-weiten Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit gemäß Artikel 49 des EU-Vertrags eine regionale Steuerregelung nicht zulassen, die einen Steuerabzug von 200 000 EUR nur für Banken mit Hauptsitz in dieser Region vorsieht, da dies gegenüber Banken mit Sitz in anderen EU-Ländern ungerecht ist. Kleinere Abzüge, die sich nach der Anzahl der örtlichen Bankfilialen richten, sind jedoch im Allgemeinen zulässig, solange sie die in der Region ansässigen Banken nicht begünstigen.
Was den Kapitalverkehr gemäß Artikel 63 des EU-Vertrags betrifft, so lassen die EU-Vorschriften keine Steuerabzüge zu, die Banken dafür belohnen, dass sie nur in einer bestimmten Region, in diesem Fall Andalusien, investieren, wenn das Ziel lediglich darin besteht, die lokale Wirtschaft anzukurbeln.
Andererseits hindern die EU-Mehrwertsteuervorschriften, insbesondere Artikel 401 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, ein EU-Land nicht daran, eine gesonderte Steuer für Banken einzuführen, die auf dem Geldbetrag basiert, den ihre Kunden eingezahlt haben.
Da die IDECA auf der Grundlage des durchschnittlichen Betrags dieser Einlagen im Laufe des Jahres berechnet wird und von den Banken und nicht von den Kunden gezahlt wird, unterscheidet sich die Steuer von der Mehrwertsteuer durch ihre Funktionsweise und den Kreis der Steuerpflichtigen. In Anbetracht aller Fakten ist eine solche Steuer nach den EU-Vorschriften und -Verordnungen zulässig.
Schlussfolgerung
Der EuGH-Fall Novo Banco verdeutlicht das heikle Gleichgewicht zwischen nationaler oder regionaler Steuerautonomie und grundlegenden EU-Prinzipien. Der EuGH stellte klar, dass Steuervergünstigungen für Institute, die ausschließlich auf einer regionalen Niederlassung beruhen, gegen die im EU-Recht garantierte Niederlassungsfreiheit verstoßen. Außerdem können Abzüge zur Förderung regionaler Investitionen gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs verstoßen.
Hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Mehrwertsteuerrecht betonte der EuGH jedoch, dass die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Artikel 401, die Einführung einer solchen Steuer nicht verbietet, solange die Steuer nicht dieselben Merkmale wie die Mehrwertsteuer aufweist.
Quelle: Rechtssache C-712/19 - Novo Banco SA gegen Regierung der Autonomen Gemeinschaft Andalusien, Spanien, EU-Mehrwertsteuerrichtlinie

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