Steuerliche Behandlung von verlängerten Garantien und Mehrwertsteuerbefreiungen | Radio Populäre EuGH-Fallanalyse

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In der Rechtssache zwischen Rádio Popular - Electrodomésticos SA (Radio Popular) und der portugiesischen Steuer- und Zollbehörde geht es um die Frage, ob es sich bei Umsätzen im Zusammenhang mit der Vermittlung von verlängerten Garantien für verkaufte Haushaltsgeräte und Computerausrüstung um Versicherungsumsätze handelt.
Darüber hinaus geht es in dieser Rechtssache um die Frage, ob solche Umsätze als Finanztransaktionen behandelt werden können und ob sie bei der Berechnung der Aufteilung der Vorsteuer auf steuerpflichtige und mehrwertsteuerbefreite Leistungen ausgeschlossen werden können.
Hintergrund der Rechtssache
Radio Popular ist eine portugiesische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die elektrische Haushaltsgeräte und andere Computer- und Telekommunikationsgeräte verkauft. Neben dem Verkauf von Geräten und Ausrüstungen bietet das Unternehmen seinen Kunden eine Reihe zusätzlicher Dienstleistungen an, darunter Garantieverlängerungen für gekaufte Produkte.
Die Garantieverlängerung erfolgt über einen Versicherungsvertrag, bei dem die Versicherungsgesellschaft dem Verbraucher im Schadensfall die Reparatur der gekauften Waren oder in einigen Fällen deren Ersatz für einen Zeitraum garantiert, der über die vom Hersteller gewährte Garantiezeit hinausgeht.
Der Versicherungsvertrag wird zwischen der Versicherungsgesellschaft und dem Verbraucher geschlossen, während Radio Popular als Vermittler beim Verkauf von Versicherungsprodukten auftritt. Daher stellt Radio Popular den Verbrauchern Gebühren in Rechnung, und die Garantieverlängerungen werden in Verbindung mit den Waren verkauft.
In der Gewissheit, dass die Verkäufe von Garantieverlängerungen in den Bereich der mehrwertsteuerbefreiten Versicherungsumsätze fallen, zahlte das Unternehmen auf diese Umsätze keine Mehrwertsteuer, zog aber die für alle seine Tätigkeiten gezahlte Vorsteuer in den Geschäftsjahren 2014 bis 2017 vollständig ab.
Nachdem die Steuerbehörde eine Steuerprüfung für diese Geschäftsjahre durchgeführt hatte, kam sie zu dem Schluss, dass das Unternehmen zu Unrecht die gesamte gezahlte Mehrwertsteuer abgezogen hatte, da die Verkäufe von Garantieverlängerungen von der Mehrwertsteuer befreit waren und daher rechtlich nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt waren. Daraufhin erließ die Steuerbehörde vier Steuerbescheide, in denen sie die Zahlung von Mehrwertsteuer und Zinsen in Höhe von insgesamt 356.433,05 Euro forderte.
Nach einer solchen Aufforderung beantragte Radio Popular die Einsetzung eines Schiedsgerichts und machte geltend, dass diese Bescheide rechtswidrig seien. Die Entscheidung oblag dem Steuerschiedsgericht (Tribunal).
Radio Popular machte geltend, dass die Verkäufe von Garantieverlängerungen finanzielle Transaktionen darstellten, die mit der Haupttätigkeit des Verkaufs von Haushaltsgeräten und anderen Ausrüstungen verbunden seien. Mit dieser Begründung erklärte das Unternehmen, dass solche Umsätze nach der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie von der Mehrwertsteuer befreit seien.
Andererseits machte die Steuerbehörde geltend, dass Rádio Popular regelmäßig Garantieverlängerungen verkauft und etwa 35 % des von jedem Verbraucher für eine Garantieverlängerung gezahlten Betrags einnimmt. Daher kam die Steuerbehörde zu dem Schluss, dass diese Tätigkeiten nicht als Nebentätigkeit zum Verkauf von elektronischen Geräten und Computerausrüstungen anzusehen sind und somit der Mehrwertsteuer unterliegen.
Da es Bedenken hinsichtlich der mehrwertsteuerlichen Behandlung der von Radio Popular erbrachten Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Elektrohaushaltsgeräten in Verbindung mit der Vermittlung des Verkaufs von Garantieverlängerungen für diese Geräte hatte, beschloss das Gericht, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage vorzulegen.
Hauptfragen aus dem Ersuchen um Vorabentscheidung
Die Hauptfrage, die das Gericht dem EuGH vorlegte, lautete, ob die Vermittlungsleistungen entweder direkt oder nach den Grundsätzen der Mehrwertsteuerneutralität und des Wettbewerbs als Finanzumsätze anzusehen sind. Darüber hinaus wollte das Gericht wissen, ob die Einnahmen aus solchen Dienstleistungen von der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs gemäß Artikel 135 Absatz 1 Buchstabe b oder c der Mehrwertsteuerrichtlinie ausgeschlossen werden sollten.
Mit anderen Worten, das Gericht wollte wissen, ob eine solche Vermittlung für eine Mehrwertsteuerbefreiung in Frage kommt und, falls ja, wie sie sich auf die Berechnung des gesamten Vorsteuerabzugs für das Unternehmen auswirkt.
Anwendbarer Artikel der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie
Um festzustellen, ob diese Dienstleistungen und Umsätze von der Mehrwertsteuer befreit sind, prüfte der EuGH Artikel 1 Absatz 2, 135 Absatz 1, 173 und 174 Absätze 1 und 2 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie.
Nach Artikel 1 Absatz 2 wird die Mehrwertsteuer auf Umsätze auf der Grundlage des Preises der Gegenstände oder Dienstleistungen zum anwendbaren Satz nach Abzug der bereits auf die Kosten im Zusammenhang mit diesen Umsätzen angefallenen Mehrwertsteuer erhoben. In Artikel 135 Absatz 1, dem wichtigsten Artikel, sind bestimmte Arten von Umsätzen aufgeführt, die von den EU-Ländern von der Mehrwertsteuer befreit werden müssen, darunter Versicherungen und damit verbundene Dienstleistungen.
In den Artikeln 173 und 174 Absatz 1 werden die Regeln für die Bestimmung des Mehrwertsteuerbetrags festgelegt, den ein Unternehmen abziehen kann, wenn es Gegenstände oder Dienstleistungen sowohl für steuerpflichtige als auch für steuerbefreite Umsätze verwendet, d. h. für Umsätze, die abzugsfähig bzw. nicht abzugsfähig sind, und für die Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs. Darüber hinaus wird in Artikel 174 Absatz 2 festgelegt, welche Einnahmen von dieser Berechnung ausgenommen sind, einschließlich der finanziellen Nebengeschäfte.
Portugals nationale MwSt-Vorschriften
Was die portugiesischen Mehrwertsteuervorschriften betrifft, so waren die Artikel 9 und 23 des Mehrwertsteuergesetzes die zentralen Punkte für die Diskussion über die Vorlagefrage. Mit diesen Artikeln werden die portugiesischen Mehrwertsteuervorschriften an die Bestimmungen der Artikel 135, 173 und 174 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie angeglichen.
Bedeutung der Rechtssache für Steuerpflichtige
Die Rechtssache kann für Steuerpflichtige von Bedeutung sein, die in Verbindung mit ihrer Haupttätigkeit zusätzliche Dienstleistungen erbringen, insbesondere für diejenigen, die im Einzelhandel tätig sind.
Da der Fall eine Antwort auf die Frage gibt, wann eine mehrwertsteuerbefreite Finanzdienstleistung, wie die Vermittlung einer Garantieversicherung, als bloße Nebentätigkeit zu einer steuerpflichtigen Tätigkeit gilt und wann sie wesentlich wird, hat er direkte Auswirkungen auf das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug.
Die Rechtssache liefert nicht nur wertvolle Klarstellungen für Steuerpflichtige, die im Einzelhandel tätig sind und ihren Verbrauchern zusätzliche Dienstleistungen anbieten, sondern ist auch für Versicherungsunternehmen, Versicherungsmakler und -agenten von Nutzen, da sie bestimmte Schlüsselartikel der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie zur Mehrwertsteuerbefreiung für Versicherungs- und Finanzdienstleistungen auslegt.
Analyse der Feststellungen des Gerichtshofs
Zu Beginn seines Urteils betonte der EuGH, dass sowohl Radio Popular als auch die Steuerbehörde darin übereinstimmten, dass die Vermittlungsumsätze im Zusammenhang mit dem Verkauf von Garantieverlängerungen unter Artikel 135 Absatz 1 Buchstabe a der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen, d. h. dass sie versicherungsbezogen und daher von der Mehrwertsteuer befreit sind.
Der EuGH stellte jedoch fest, dass die Mehrwertsteuerbefreiung allein nicht automatisch ausschlaggebend für ihre Behandlung bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs ist. Die Hauptfrage ist, ob diese Umsätze, obwohl sie von der Mehrwertsteuer befreit sind, bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes für den Vorsteuerabzug gemäß den in Artikel 174 Absatz 2 aufgeführten Ausnahmeregelungen aus dem Nenner ausgeschlossen werden sollten. Insbesondere werden in Artikel 174 Absatz 2 Versicherungsumsätze nicht ausdrücklich in die Ausnahmeregelungen aufgenommen.
Darüber hinaus betonte der EuGH, dass die in Artikel 135 Absatz 1 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Steuerbefreiungen eng auszulegen sind, so dass die EU-Länder verpflichtet sind, Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze sowie damit zusammenhängende Dienstleistungen von Versicherungsmaklern und -agenten von der Mehrwertsteuer zu befreien. Der Hauptgrund dafür ist, dass diese Steuerbefreiungen Ausnahmen von der allgemeinen Regel darstellen, dass die Mehrwertsteuer für alle Dienstleistungen gilt, die von einem Steuerpflichtigen im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit gegen Entgelt erbracht werden.
Der EuGH stellte fest, dass das bestimmende Merkmal von Versicherungsumsätzen die vertragliche Beziehung zwischen dem Versicherer und dem Versicherten ist, die unmittelbar und verbindlich sein muss. Im vorliegenden Fall ist Radio Popular keine Vertragspartei. Stattdessen fungiert es als Vermittler zwischen dem Verbraucher und dem Versicherer, und das versicherte Risiko liegt ausschließlich bei der Versicherungsgesellschaft, nicht bei Rádio Popular.
Entscheidend ist daher, ob die Rolle von Rádio Popular als Vermittler unter die Definition der verbundenen Dienstleistungen von Versicherungsmaklern und -agenten fällt. Um in den Anwendungsbereich von Artikel 135 Absatz 1 zu fallen, müssen die zusätzlichen Dienstleistungen zwei kumulative Bedingungen erfüllen. Erstens müssen die zusätzlichen Dienstleistungen mit Versicherungsgeschäften verbunden sein, und zweitens müssen sie von Versicherungsmaklern und -agenten erbracht werden.
Der Begriff "im Zusammenhang" kann weit ausgelegt werden und umfasst eine Reihe von Dienstleistungen, die mit der Durchführung von Versicherungsgeschäften verbunden sind, wie z. B. die Schadenregulierung. Mit anderen Worten: Die zusätzlichen Dienstleistungen müssen eng mit der eigentlichen Versicherungsfunktion verbunden sein.
Aus dieser Sicht kam der EuGH zu dem Schluss, dass Garantieverlängerungen im Wesentlichen Versicherungsverträge zwischen dem Versicherer und dem Kunden sind, bei denen die Versicherungsgesellschaft das Risiko übernimmt. Daher werden sie als mit einem Versicherungsgeschäft verbunden angesehen.
In Bezug auf die zweite Voraussetzung für die Mehrwertsteuerbefreiung stellte der EuGH klar, dass die Bestimmung nicht strikt auf der formalen Bezeichnung oder dem Titel beruhen sollte. Der Inhalt und die Art der erbrachten Dienstleistung sind die entscheidenden Faktoren. Genauer gesagt kommt es nicht darauf an, ob die Person den offiziellen Status eines Maklers oder Vertreters innehat, sondern darauf, ob ihre Tätigkeit die typischerweise mit Vermittlern verbundenen Funktionen erfüllt.
In diesem Fall, so der EuGH, hatte Radio Popular, da es direkten Kontakt mit dem Versicherer und dem Verbraucher als Versicherungsnehmer hatte, wesentliche Aufgaben eines Versicherungsvertreters. Daher erfüllte das Unternehmen beide entscheidenden Voraussetzungen.
Dennoch muss noch die Frage geklärt werden, ob solche versicherungsbezogenen Dienstleistungen im Lichte des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, der eine unterschiedliche mehrwertsteuerliche Behandlung ähnlicher und konkurrierender Dienstleistungen verbietet, als finanzielle Nebengeschäfte behandelt werden können, die sich auf die Berechnung der abzugsfähigen Mehrwertsteuer auswirken würden.
Endgültige Entscheidung des Gerichts
Der EuGH entschied, dass Artikel 174 Absatz 2 Buchstaben b und c der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Artikel 135 Absatz 1 nicht für Vermittlungsleistungen beim Verkauf von Garantieverlängerungen gilt, die von einem Steuerpflichtigen im Rahmen seiner Haupttätigkeit im Einzelhandel erbracht werden. Folglich muss der Umsatz aus solchen Umsätzen bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs in den Gesamtnenner einbezogen werden.
Der Hauptgrund für die Schlussfolgerung des EuGH ist, dass Versicherungsumsätze bei der Anwendung der Vorsteuerabzugsregeln nach Artikel 174 Absatz 1 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie nicht mit Finanzumsätzen gleichgestellt werden können.
Schlussfolgerung
In Anbetracht der besonderen Aspekte dieses Falles, vor allem der Überschneidung zwischen dem Einzelhandel und Versicherungsdienstleistungen als ergänzende Dienstleistungen, schafft das Urteil Klarheit für Steuerpflichtige, die Nebenleistungen im Zusammenhang mit ihrer Haupttätigkeit anbieten.
Insbesondere wird festgestellt, dass der Umsatz aus versicherungsbezogenen Dienstleistungen, einschließlich des Verkaufs von Garantieverlängerungen, in die Berechnung des Vorsteuerabzugs einzubeziehen ist, wenn diese Dienstleistungen als Teil einer Hauptgeschäftstätigkeit erbracht werden, wie z. B. der Verkauf von Haushaltsgeräten und Computerausrüstung, und nicht als zufällige Finanzdienstleistungen.
Quelle: Rechtssache C-695/19 - Rádio Popular - Electrodomésticos SA gegen Steuer- und Zollbehörde, EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, Deloitte

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