CJEU klärt Mehrwertsteuerpflicht von digitalen Plattformen: Analyse des Falles Fenix International (OnlyFans)

🎧 Lieber zuhören?
Holen Sie sich die Audioversion dieses Artikels und bleiben Sie auf dem Laufenden, ohne lesen zu müssen - perfekt für Multitasking oder Lernen unterwegs.
In der heutigen digitalen Wirtschaft spielen Plattformen eine zentrale Rolle bei der Erleichterung von Transaktionen zwischen Anbietern und Verbrauchern, wobei die Grenzen des traditionellen rechtlichen und steuerlichen Rahmens oft verschwimmen. Dienstleistungen werden über Websites oder Apps angeboten, und die Endnutzer sind sich möglicherweise nicht einmal der Identität des eigentlichen Dienstleisters bewusst. Dies gilt insbesondere für die so genannte Plattformökonomie mit Beispielen wie Airbnb, Uber, Etsy und OnlyFans. Diese Plattformen stellen weit mehr als nur eine neutrale Infrastruktur zur Verfügung - sie wickeln Zahlungen ab, gewähren Zugang zu Inhalten, treten als Vertragspartner auf und diktieren häufig die Nutzungsbedingungen.
In der Rechtssache Fenix International Limited (C-695/20), besser bekannt als die Rechtssache OnlyFans, wurde dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob eine Plattform die Mehrwertsteuer auf den gesamten von den Nutzern gezahlten Betrag oder nur auf die von ihr einbehaltene Provision abführen muss. Dieses Urteil ist von großer Bedeutung für die Bestimmung der mehrwertsteuerlichen Pflichten innerhalb digitaler Plattformstrukturen. Dieser Artikel bietet eine eingehende Analyse des Sachverhalts, des rechtlichen Kontextes, der Argumentation des Gerichtshofs und der praktischen Folgen für die Wirtschaft.
Sachverhalt und Hintergrund
Fenix International Limited, ein im Vereinigten Königreich ansässiges Unternehmen, betreibt OnlyFans, eine abonnementbasierte digitale Plattform, die es Urhebern ermöglicht, Inhalte - vor allem Inhalte für Erwachsene - zu Geld zu machen, indem sie sie zahlenden Nutzern anbieten. Die Plattform ermöglicht ein Direktvertriebsmodell, bei dem die Urheber Inhalte hochladen und ihre eigenen Abonnementgebühren festlegen, während die Nutzer (als "Fans" bezeichnet) für den Zugang zu den Inhaltsbibliotheken der einzelnen Urheber zahlen und auch Trinkgelder oder Gebühren für benutzerdefinierte Inhalte zahlen können.
Alle finanziellen Transaktionen auf der Plattform werden über Fenix abgewickelt. Die Nutzer zahlen direkt an Fenix, nicht an die Ersteller. Fenix behält eine Provision von 20 % ein und überweist die restlichen 80 % an den Anbieter der Inhalte. Die Plattform legt auch die Nutzungsbedingungen fest, kontrolliert den Zugang, kümmert sich um den Kundensupport und verwaltet Erstattungs- und Stornierungsprozesse. Die Urheber stimmen diesen Bedingungen bei der Registrierung zu und verlassen sich darauf, dass Fenix die Verbreitung und Monetarisierung ihrer Inhalte erleichtert.
Wichtig ist, dass die Nutzer kein Rechtsverhältnis mit den Urhebern selbst eingehen. Der Vertrag besteht zwischen dem Nutzer und Fenix, und die gesamte Kommunikation, Abrechnung und der Zugang zur Plattform werden ausschließlich von Fenix abgewickelt. Die Identität des Urhebers ist zwar sichtbar, aber nicht in einer Weise, die den Transparenzanforderungen des Mehrwertsteuerrechts genügt.
Trotz dieser Struktur argumentierte Fenix in seinen MwSt.-Anmeldungen, dass es lediglich als Vermittler im Namen der Urheber auftrete und die MwSt. nur auf seine 20 %ige Provision abrechne. Die britische Steuerbehörde HMRC wies diesen Ansatz zurück und behauptete, Fenix handele in eigenem Namen und sei der eigentliche Erbringer der Dienstleistungen für die Endnutzer. Als solcher hätte Fenix die Mehrwertsteuer auf den gesamten von den Nutzern gezahlten Betrag abführen müssen.
Diese Meinungsverschiedenheit führte zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, der zu entscheiden hatte, ob Fenix nach dem EU-Mehrwertsteuerrecht als Erbringer der digitalen Dienstleistungen anzusehen ist und daher die Mehrwertsteuer auf das gesamte erhaltene Entgelt schuldet.
Rechtliche Frage
Die zentrale Rechtsfrage lautete, ob Fenix angesichts seiner Rolle bei dem Umsatz als mehrwertsteuerpflichtiger Erbringer der dem Endverbraucher erbrachten Dienstleistung anzusehen ist. Dabei ging es um die Auslegung von Artikel 28 der Richtlinie 2006/112/EG (MwSt-Richtlinie) und Artikel 9a der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011. Der Gerichtshof musste feststellen, ob Fenix als Vermittler oder als Steuerpflichtiger handelte, der die Dienstleistung in eigenem Namen erbringt.
Diese Frage ist nicht nur rechtstechnischer Natur, sondern auch Teil eines umfassenderen Trends, bei dem sich Plattformen oft als Vermittler präsentieren, während sie in der Praxis eine viel zentralere kommerzielle Rolle spielen.
Rechtlicher Rahmen: Mehrwertsteuerrichtlinie, Durchführungsverordnung und wirtschaftliche Realität
Die Analyse des Rechnungshofs erfolgte innerhalb des breiteren Rahmens des EU-Mehrwertsteuerrechts. Im Mittelpunkt steht dabei die Richtlinie 2006/112/EG, in der die Grundprinzipien für die Besteuerung von Waren und Dienstleistungen in der EU festgelegt sind. Von besonderer Bedeutung ist Artikel 28, der eine rechtliche Fiktion einführt: Handelt ein Steuerpflichtiger in eigenem Namen, aber im Auftrag einer anderen Partei, so wird davon ausgegangen, dass er die Dienstleistung selbst erbracht hat. Dadurch entsteht ein zweistufiger Umsatz - einer vom eigentlichen Dienstleistungserbringer an den Vermittler und ein weiterer vom Vermittler an den Endverbraucher.
Ziel ist es, Steuerneutralität zu gewährleisten und Steuerumgehung zu verhindern, indem die tatsächliche Erbringung von Dienstleistungen hinter vertraglichen Vermittlern versteckt wird.
Ergänzend zur Richtlinie enthält die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 praktische Anwendungsvorschriften. Ab 2019 wurde Artikel 9a hinzugefügt, der auf Online-Plattformen oder "elektronische Schnittstellen" abzielt. Er besagt, dass, wenn eine solche Plattform in die Erbringung einer digitalen Dienstleistung an Nichtsteuerpflichtige (z. B. Verbraucher) eingreift, die Plattform als Anbieter gilt - es sei denn, sie erfüllt strenge Transparenzanforderungen. Die Ausnahme gilt nur, wenn:
die Identität des tatsächlichen Anbieters vor der Transaktion eindeutig offengelegt wird;
die Zahlung direkt an den Anbieter erfolgt;
die Plattform keine Kontrolle über die Vertragsbedingungen oder die Lieferung ausübt.
Der Gerichtshof hat sich bei der Anwendung dieser Bestimmungen stets vom Grundsatz der wirtschaftlichen Realität leiten lassen. Das bedeutet, dass die Beurteilung, wer eine Dienstleistung erbringt, nicht allein durch den Wortlaut der Verträge bestimmt wird, sondern durch die tatsächliche Funktion und das Verhalten der beteiligten Parteien. Wenn die Plattform die Dienstleistung zentral verwaltet, die Zahlungen abwickelt und der Nutzer keinen direkten Kontakt mit dem tatsächlichen Anbieter hat, wird die Plattform für Mehrwertsteuerzwecke als Anbieter behandelt. Dieser Ansatz wird durch frühere Urteile wie Tolsma gestützt, das feststellte, dass eine Dienstleistung in direktem Zusammenhang mit einer Vergütung stehen muss, sowie durch Fälle wie Airbnb Irland und Amazon EU, die den Gedanken bekräftigten, dass die Steuerpflicht mit der wirtschaftlichen Realität übereinstimmen muss.
Zusammengenommen schaffen diese Bestimmungen und Urteile einen klaren Rahmen: Handelt eine Plattform in eigenem Namen, verwaltet sie Zahlungen, kontrolliert sie den Vertrag und versäumt sie es, den tatsächlichen Leistungserbringer transparent auszuweisen, gilt sie als steuerpflichtiger Erbringer der vollständigen Dienstleistung. Die Mehrwertsteuerschuld ist daher nicht auf die einbehaltene Provision beschränkt, sondern erstreckt sich auf die gesamte vom Nutzer gezahlte Gegenleistung.
Die Beurteilung des Gerichtshofs
Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass Fenix nicht als neutraler Vermittler, sondern als der eigentliche Erbringer der Dienstleistungen auftrat. Er wies darauf hin, dass der Nutzer einen Vertrag mit Fenix abschloss, Zahlungen an Fenix leistete und keine Rechtsbeziehung zum Ersteller der Inhalte hatte. Außerdem kontrollierte Fenix den Zugang zu den Inhalten, die Nutzungsbedingungen und betrieb die digitale Infrastruktur.
In Anwendung der Logik von Artikel 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie und Artikel 9a der Durchführungsverordnung stellte der Gerichtshof fest, dass Fenix durch die von ihm verwendete Struktur in den Mittelpunkt der Geschäftsbeziehung gestellt wurde. Der Urheber der Inhalte wurde dem Nutzer nicht hinreichend kenntlich gemacht, und die Plattform hatte die Kontrolle über die Transaktion, so dass Fenix die volle Mehrwertsteuerschuld auf den gesamten vom Nutzer gezahlten Betrag übernahm.
Plattform vs. Vermittler: Eine wichtige Unterscheidung
Das Urteil verdeutlicht die wichtige rechtliche Unterscheidung zwischen einer Plattform, die Dienstleistungen erbringt, und einem reinen Vermittler. Ein Anbieter handelt in eigenem Namen, legt die Bedingungen fest, nimmt die Zahlungen entgegen und schuldet die Mehrwertsteuer auf die gesamte Gegenleistung. Ein Vermittler handelt im Namen eines offengelegten Auftraggebers, erhält nur eine Provision und ist nur für diese Provision mehrwertsteuerpflichtig.
Diese Unterscheidung ist nicht nur semantisch, sondern hat erhebliche finanzielle und rechtliche Auswirkungen. Wenn Plattformen die Transparenzkriterien nicht erfüllen oder sich von der Transaktion distanzieren, riskieren sie die volle Mehrwertsteuerpflicht. Die korrekte Strukturierung der Vertragsbeziehungen, der Zahlungsströme und der Kommunikation mit den Nutzern ist von entscheidender Bedeutung, um unbeabsichtigte steuerliche Folgen zu vermeiden.
Konsequenzen für Unternehmen und die Plattformökonomie im Allgemeinen
Dieser Fall ist eine deutliche Warnung für Plattformbetreiber. Der Gerichtshof bekräftigte, dass die praktische Umsetzung - und nicht vertragliche Formalitäten - über die Steuerpflicht entscheidet. Plattformbetreiber müssen prüfen, ob sie Zahlungen erhalten, die Beziehung zu den Nutzern kontrollieren und sich selbst als Dienstleistungsanbieter darstellen.
Wenn eine Plattform einen der oben genannten Punkte erfüllt, wird sie höchstwahrscheinlich als Steuerpflichtiger für Mehrwertsteuerzwecke für die gesamte Transaktion betrachtet. Unternehmen müssen ihre Modelle überprüfen und ihr Mehrwertsteuerrisiko einschätzen, insbesondere in Fällen, die Endnutzer in der EU betreffen.
Für einzelne Dienstleistungserbringer (z. B. Freiberufler oder Kreative) ändert sich durch dieses Urteil in der Praxis wenig. Wenn die Plattform als Lieferant gilt, fällt die Person möglicherweise nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer für diese Transaktion. Dies könnte jedoch auch bedeuten, dass sie in Bezug auf diese Einnahmen nicht als selbständige Unternehmer für Mehrwertsteuerzwecke angesehen werden.
Schlussfolgerung
Das Urteil Fenix International ist ein Meilenstein für die Besteuerung von digitalen Plattformen. Der Gerichtshof verfolgte einen pragmatischen Ansatz, bei dem die Substanz über der Form steht: Handelt eine Plattform in eigenem Namen, nimmt sie Zahlungen entgegen und kontrolliert sie den Umsatz, schuldet sie die Mehrwertsteuer auf den vollen Wert.
Damit wird ein klarer Grundsatz bekräftigt: Die Steuerpflicht in der digitalen Wirtschaft hängt von der wirtschaftlichen Substanz ab, nicht nur von der rechtlichen Bezeichnung. Plattformen, die ihre Umsatzsteuerpflicht begrenzen wollen, müssen für volle Transparenz sorgen, Verträge sorgfältig strukturieren und davon absehen, eine zentrale kommerzielle Rolle einzunehmen. Verantwortung folgt Kontrolle - und im digitalen Zeitalter müssen Plattformen, die die Transaktion kontrollieren, auch deren Steuerlast tragen.

Ausgewählte Einblicke

EuGH-Urteil Luxury Trust Automobil: Innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte und Mehrwertsteuerregeln
🕝 June 18, 2025
Wie sich Änderungen der Registrierungsschwellen auf Unternehmen auswirken | Einhaltung der Mehrwertsteuer, GST und Verkaufssteuer
🕝 May 30, 2025
Wichtige Faktoren, die beim Outsourcing der Einhaltung indirekter Steuern in der digitalen Wirtschaft zu berücksichtigen sind
🕝 May 22, 2025
Praxis des Obersten Verwaltungsgerichts Litauen bei der Anfechtung von Entscheidungen der Steuerverwaltung
🕝 May 19, 2025Mehr Nachrichten von Europa
Erhalten Sie Echtzeit-Updates und Entwicklungen aus aller Welt, damit Sie informiert und vorbereitet sind.