EuGH entscheidet über Mehrwertsteuererstattung für Werkzeuge in der grenzüberschreitenden Fertigung - C-234/24

Die Komplexität des EU-Mehrwertsteuersystems wird häufig in grenzüberschreitenden Produktionsstrukturen erprobt, in denen Lieferketten mehrere Gerichtsbarkeiten durchqueren und sich rechtliche Verpflichtungen überschneiden. Ein Bereich, in dem es zu Spannungen kommt, ist die Klassifizierung und Behandlung von Werkzeugen - ein Schlüsselelement in Produktionsprozessen, das oft nicht über die Grenzen hinausgeht, aber eine zentrale Rolle bei der Erleichterung des innergemeinschaftlichen Handels spielt. Die vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anhängige Rechtssache C-234/24 zeigt diese Spannungen mit bemerkenswerter Klarheit auf. Es handelt sich um einen Rechtsstreit zwischen einem slowakischen Unternehmen und den bulgarischen Steuerbehörden über die Frage, ob die Mehrwertsteuer auf ein Werkzeug, das physisch in Bulgarien verbleibt, aber für die grenzüberschreitende Herstellung von Bauteilen verwendet wird, erstattet werden sollte.
Die Schlussanträge von Generalanwältin Juliane Kokott bieten einen strukturierten und prinzipienfesten Ansatz für die Auslegung der geltenden Richtlinien und der Rechtsprechung. Ihr Standpunkt bezieht sich nicht nur auf den spezifischen Sachverhalt des Falles Brose Prievidza, sondern berührt auch umfassendere Auswirkungen für Unternehmen und Steuerbehörden, die mit multijurisdiktionalen Lieferketten zu tun haben. In diesem Artikel werden der Sachverhalt und die Rechtsfragen im Detail untersucht, der rechtliche Rahmen dargelegt, die Feststellungen der Generalanwältin zusammengefasst und die praktischen Folgen des Urteils des Gerichtshofs bewertet.
Sachverhalt und Umstände
In der Rechtssache geht es um die Brose-Gruppe, ein multinationales Unternehmen, das im Automobilsektor tätig ist. Brose DE, ein deutsches Unternehmen der Gruppe, gab die Entwicklung eines Spezialwerkzeugs in Auftrag, das für die Herstellung von Automobilteilen bestimmt ist. Dieses Werkzeug wurde an IME Bulgaria geliefert und dort installiert. IME Bulgaria ist ein Fremdhersteller, der Teile für ein anderes Unternehmen der Gruppe, Brose Prievidza s.r.o. (Brose SK) mit Sitz in der Slowakei, herstellt.
Nachdem das Werkzeug an IME Bulgarien geliefert und die Produktion aufgenommen worden war, übertrug Brose DE das Eigentum an dem Werkzeug auf Brose SK. Die Transaktion wurde mit bulgarischer Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt, da das Werkzeug das bulgarische Hoheitsgebiet nie physisch verlassen hat. Die Rechnung spiegelte einen echten wirtschaftlichen Eigentumsübergang wider. Brose SK beantragte daraufhin die Erstattung der bulgarischen Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2008/9/EG, die es Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat ermöglicht, die in einem anderen Mitgliedstaat gezahlte Mehrwertsteuer zurückzuerhalten.
Die bulgarischen Steuerbehörden lehnten den Antrag ab. Sie argumentierten, dass das Werkzeuggeschäft ein untrennbarer Bestandteil einer umfassenderen innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen sei, nämlich der grenzüberschreitenden Lieferung von Automobilteilen von IME Bulgarien an Brose SK. Daher sollte der Werkzeugverkauf gemäß Artikel 138 der Richtlinie 2006/112/EG als steuerbefreit angesehen werden. Da die Mehrwertsteuer auf steuerbefreite Lieferungen gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Erstattungsrichtlinie (2008/9/EG) nicht erstattungsfähig ist, wurde die Erstattung abgelehnt.
Gegen diese Ablehnung wurde Berufung eingelegt, und das nationale Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die für das Werkzeug angefallene Mehrwertsteuer auch dann erstattet werden kann, wenn das Werkzeug selbst das Land nicht verlassen hat, sondern mit einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung verbunden war. Der Fall dreht sich also um zwei Fragen: ob der Verkauf des Werkzeugs nach Artikel 138 von der Steuer befreit ist und ob die Erstattung nach der Erstattungsrichtlinie verweigert werden muss.
Rechtlicher Rahmen: Mehrwertsteuerrichtlinie und Erstattungsrichtlinie
Die beiden für diesen Fall maßgeblichen Rechtsakte sind die Richtlinie 2006/112/EG (MwSt-Richtlinie) und die Richtlinie 2008/9/EG (Erstattungsrichtlinie).
Gemäß Artikel 138 Absatz 1 der MwSt-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Lieferungen von Gegenständen, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen versandt oder befördert werden, von der Steuer zu befreien, wenn sie an einen Steuerpflichtigen im Bestimmungsland erfolgen. Eine grundlegende Voraussetzung für diese Steuerbefreiung ist die physische Verbringung der Gegenstände aus dem Ursprungsmitgliedstaat.
Die Richtlinie 2008/9/EG regelt das Verfahren für Mehrwertsteuererstattungsanträge von Steuerpflichtigen, die nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässig sind. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie kann die Mehrwertsteuer nicht für Gegenstände und Dienstleistungen erstattet werden, die für Umsätze verwendet werden, die von der Steuer befreit sind oder für die der Steuerpflichtige nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Folglich hängt es unmittelbar von der Einstufung des Werkzeugs als steuerfrei oder steuerpflichtig ab, ob Brose SK Anspruch auf Erstattung der für den Erwerb des Werkzeugs entrichteten Mehrwertsteuer hat.
Stellungnahme der AG Kokott: Klare Linien, keine funktionale Unschärfe
In ihren Schlussanträgen vom 22. Mai 2025 vertrat Generalanwältin Juliane Kokott die Auffassung, dass das Werkzeuggeschäft als eigenständige, steuerpflichtige Leistung zu behandeln ist. Sie betonte, dass Artikel 138 die tatsächliche physische Versendung oder Beförderung der Gegenstände über die Grenze voraussetzt. Da das Werkzeug in Bulgarien verblieb, war diese Bedingung eindeutig nicht erfüllt.
Kokott erläuterte, dass selbst wenn das Werkzeug integraler Bestandteil der Herstellung von Komponenten war, die letztlich grenzüberschreitend geliefert wurden, diese funktionale Beziehung nicht ausreicht, um den Werkzeugverkauf als Teil einer innergemeinschaftlichen Lieferung einzustufen. Der Grundsatz der Steuerbefreiung nach Artikel 138 ist territorialer Natur und hängt von objektiven Tatsachen ab, nicht von wirtschaftlichen Verflechtungen oder Konzernbeziehungen.
Der Generalanwalt befasste sich auch mit der Frage, ob das Werkzeug als Nebenleistung zu der Lieferung des Bauteils angesehen werden kann und somit eine einzige komplexe Lieferung darstellt. Das EU-Recht lässt zwar zu, dass mehrere Lieferungen als ein einziger Umsatz behandelt werden, doch Kokott wies darauf hin, dass eine solche Behandlung auf Fälle beschränkt ist, in denen die Lieferungen von demselben Steuerpflichtigen stammen und aus Sicht des Empfängers ein untrennbares Ganzes bilden. Im vorliegenden Fall wurde das Werkzeug von Brose DE geliefert, während die Bauteile von IME Bulgarien hergestellt und geliefert wurden. Es handelte sich um unabhängige Geschäfte, an denen verschiedene Lieferanten beteiligt waren, und die dem Kunden nicht als gebündeltes Angebot präsentiert wurden.
Kokott wies ausdrücklich die Ansicht zurück, dass der Verkauf des Werkzeugs künstlich oder missbräuchlich war. Sie stellte fest, dass die Transaktion eine echte wirtschaftliche Tätigkeit und eine rechtmäßige Eigentumsübertragung widerspiegelt. Die von Brose DE ausgestellte Rechnung war korrekt und enthielt den entsprechenden Mehrwertsteuerbetrag. Es gab keine Hinweise auf Steuervermeidung, Manipulation oder vertragliche Fiktion.
Anspruch auf Mehrwertsteuererstattung: Ein klarer Fall
Ausgehend von ihrer Feststellung, dass das Werkzeuggeschäft die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nicht erfüllte, kam Kokott zu dem Schluss, dass es in Bulgarien als steuerpflichtige Inlandslieferung behandelt werden muss. Dementsprechend sei die auf der Rechnung ausgewiesene Mehrwertsteuer rechtmäßig und nach der Erstattungsrichtlinie erstattungsfähig.
Sie wies darauf hin, dass Artikel 4 Absatz 1 der Erstattungsrichtlinie nur Erstattungen in Bezug auf steuerbefreite Umsätze oder solche, die den Antragsteller nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen, untersagt. Da es sich bei dem Werkzeugverkauf um eine steuerpflichtige Leistung handelte, fand diese Einschränkung keine Anwendung. Der Versuch der bulgarischen Steuerbehörden, die Erstattung aufgrund einer falschen Charakterisierung des Umsatzes zu verweigern, verstieß daher gegen EU-Recht.
Kokott betonte außerdem die Bedeutung der Rechtssicherheit und des Neutralitätsprinzips im Mehrwertsteuerrecht. Unternehmen müssen sich auf die in der Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegten formalen und objektiven Kriterien verlassen können. Die Umdeutung von Leistungen allein auf der Grundlage einer funktionalen oder wirtschaftlichen Verbindung würde diese Grundsätze untergraben und die Steuerpflichtigen einer rückwirkenden Haftung und willkürlichen steuerlichen Behandlung aussetzen.
Weiterreichende Auswirkungen: Rechtssicherheit für die grenzüberschreitende Produktion
Folgt der EuGH der Argumentation des Generalanwalts, wird das Urteil die territoriale Logik der Mehrwertsteuer stärken und die Rechtssicherheit für grenzüberschreitende Lieferungen von Werkzeugen und anderen Anlagegütern wiederherstellen. Es wird klarstellen, dass Eigentumsübertragungen von Gegenständen, die physisch in einem Mitgliedstaat verbleiben, nicht rückwirkend mit grenzüberschreitenden Lieferungen gleichgesetzt werden können, selbst wenn diese Gegenstände für die Herstellung von im Ausland verkauften Gegenständen wesentlich sind.
Das Urteil wäre vor allem für Unternehmen in der Automobil-, Elektronik- und Industrieproduktion von Bedeutung, wo Werkzeuge oft eine beträchtliche Vorabinvestition darstellen und bei Dritten im Ausland hergestellt werden. Es würde sicherstellen, dass rechtmäßige Eigentumsübertragungen von Werkzeugen und anderen Produktionsmitteln nicht von der Mehrwertsteuererstattung ausgeschlossen werden, nur weil die Werkzeuge nicht bewegt werden.
In einem breiteren politischen Kontext unterstreicht der Fall die Risiken einer Überdehnung des Konzepts der zusammengesetzten Lieferungen und unterstützt eine zurückhaltende, regelbasierte Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiungen. Indem er eine klare Grenze zwischen steuerbefreiten und nicht steuerbefreiten Leistungen zieht, kann der EuGH dazu beitragen, dass die auf Neutralität und Verhältnismäßigkeit beruhende Grundstruktur der Mehrwertsteuer nicht durch Steuerbefreiungen ausgehöhlt wird.
Schlussfolgerung: Die Grenze ist immer noch wichtig
Die Rechtssache C-234/24 erinnert daran, dass im Mehrwertsteuerrecht der Inhalt der Form folgen muss. Generalanwältin Kokott fordert in ihren Schlussanträgen eine Rückkehr zu objektiven und territorialen Kriterien bei der Beurteilung von grenzüberschreitenden Umsätzen. Indem sie auf dem Erfordernis der körperlichen Bewegung gemäß Artikel 138 besteht, will sie ungerechtfertigte Ausdehnungen der Befreiungsvorschriften verhindern und die Integrität des Mehrwertsteuersystems wahren.
Das Urteil des Gerichtshofs wird von dauerhafter Bedeutung dafür sein, wie die Mitgliedstaaten Umsätze mit Werkzeugen und anderen Anlagegütern in internationalen Lieferketten beurteilen. Es könnte auch die Grenzen funktionaler Auslegungen klären, die versuchen, unterschiedliche Lieferungen als künstlich vereinheitlicht darzustellen. Bis dahin ist der Fall ein Beispiel dafür, wie wichtig Rechtsklarheit in einem komplexen und wirtschaftlich integrierten Binnenmarkt ist.
EuGH - C-234/24 - ECLI:EU:C:2025:383 - Mehrwertsteuererstattung für Werkzeuge >> https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/HTML/?uri=CELEX:62024CC0234

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