Das große Bild - EU-Harmonisierungsbemühungen im Bereich der indirekten Steuern: Wo stehen wir jetzt?

Summary
Based on a presentation by Amanda Z. Quenette, VAT Attorney at CMS Francis Lefebvre, at the 9th Annual Indirect Tax and VAT Management conference, this article explores the current state and future of the European Union's indirect tax harmonization efforts.
How is the recent approval of the VAT in the Digital Age package impacting EU VAT Systems?
How can businesses leverage the new EU SME VAT scheme to optimize cash flow across borders?
To what extent are EU member states likely to take advantage of the new flexibility in applying reduced VAT rates?
What impact will expanded e-invoicing mandates play in EU countries like France and Germany this year?
Das harmonisierte Mehrwertsteuersystem der Europäischen Union dient als Vorbild für Steuersysteme in aller Welt, wird aber derzeit grundlegend überarbeitet, um es an neue technologische Gegebenheiten und die Bedürfnisse grenzüberschreitender Unternehmen anzupassen. Amanda Z. Quenette, eine französische und amerikanische Anwältin, die sich auf Mehrwertsteuerberatung und -kontroversen spezialisiert hat, beschreibt diese Landschaft als feines Gleichgewicht zwischen dem "Wald" einer übergreifenden, einheitlichen Union und den "Bäumen" lokaler, souveräner Besonderheiten in jedem Mitgliedsstaat.
Eine Union der Laboratorien
Quenette schlägt vor, den Ansatz der EU zur Mehrwertsteuer durch die Linse eines Urteils des Obersten Gerichtshofs der USA zu betrachten: "Ein einzelner mutiger Staat kann, wenn seine Bürger es wollen, als Laboratorium dienen und neue soziale und wirtschaftliche Experimente ausprobieren, ohne den Rest des Landes zu gefährden". Genau das ermöglicht die EU-Mehrwertsteuerharmonisierung. Während einige Wissenschaftler argumentieren, das System sei nicht ausreichend harmonisiert, was zu hohen Befolgungskosten und Rechtsunsicherheit führe, zeigt die praktische Realität, dass diese Teilharmonisierung wertvolle Flexibilität bietet. Sie ermöglicht es den Mitgliedstaaten, voneinander zu lernen, und macht die Union letztlich gemeinsam stärker. Dies deckt sich mit jüngsten Umfragen, die zeigen, dass satte 90 % der EU-Bürger der Meinung sind, dass die Mitgliedstaaten geschlossener auftreten sollten, um globalen Herausforderungen zu begegnen.
ViDA: Eine Drei-Säulen-Revolution
Die wichtigste Entwicklung der letzten Zeit ist das Paket " Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter" (ViDA), das am 25. März nach 27 Monaten Verhandlungen verabschiedet wurde. ViDA besteht aus drei Säulen, die das System modernisieren sollen, auch wenn die Umsetzung in nationales Recht noch aussteht und sich in Ländern wie Frankreich verzögert.
Säule 1: Elektronische Rechnungsstellung und digitale Berichterstattung
Die erste Säule zielt darauf ab, die Berichterstattung in der gesamten EU zu harmonisieren, um Betrug durch elektronische Rechnungsstellung und digitale Meldepflichten (DRR) zu bekämpfen. Diese Säule steht jedoch vor mehreren Herausforderungen:
Divergierende Regeln: Kritiker argumentieren, dass ViDA nicht weit genug geht und ein "fleckiges Flickwerk" aus unterschiedlichen nationalen Vorschriften hinterlässt. Der Umsetzungsprozess selbst verdeutlicht diese Divergenz, da frühe Anwender wie Italien ihre Einführung sieben Mal verschoben und 50 Änderungen vorgenommen haben.
Verzögerungen bei der Umsetzung: Die verzögerten Einführungstermine für nationale Mandate untergraben die kollektive Glaubwürdigkeit des Projekts und schaffen Unsicherheit für interne Teams, die nach Budgets suchen, und für Fachleute, die versuchen, Kunden zu beraten. Frankreich zum Beispiel hat sein Mandat für die elektronische Rechnungsstellung im B2B-Bereich mehrfach verschoben, wobei der aktuelle Starttermin nun für September 2026 angesetzt ist.
Steigende Kosten: Die französische Reform ist von ihrem anfänglichen Versprechen niedriger Kosten zu einem Modell übergegangen, das die Nutzung privater "Dematerialisierungsplattform-Partner" vorschreibt, was zu hohen Anfangsinvestitionen und laufenden Kosten für Unternehmen führt.
Granularität der Daten: Der Vorstoß in Richtung vorausgefüllter Mehrwertsteuererklärungen gibt Anlass zur Sorge über die schiere Menge der zu erhebenden Daten. Ein praktisches Beispiel sind die Einfuhren aus Frankreich: Da die Einfuhrumsatzsteuerdaten bereits vom Zoll erfasst und zum Ausfüllen der Steuererklärungen verwendet werden, sind diese Umsätze vom Anwendungsbereich der elektronischen Berichterstattung ausgenommen. Dadurch werden jedoch wichtige Daten wie Gutschriften für Mengenrabatte am Jahresende nicht erfasst, was die Frage aufwirft, welche Granularität wirklich notwendig ist.
Trotz dieser Hürden plädiert Quenette für einen pragmatischen, ehrgeizigen Ansatz und fordert die Beteiligten auf, "es einfach zu tun" und aus dem Prozess zu lernen, so wie es die EU bei der Einführung der Mehrwertsteuer im Jahr 1967 getan hat.
Säule 2: Die Plattformwirtschaft
Im Rahmen dieser Säule werden die Vorschriften über den "deemed supplier" auf neue Sektoren ausgedehnt. Nach der Umsetzung für Waren folgen nun Plattformen, die die kurzfristige Vermietung von Unterkünften und die Personenbeförderung auf der Straße erleichtern. Die wichtigste Erkenntnis hierbei ist, dass alle Beteiligten aus früheren Umsetzungen lernen müssen, da der Anwendungsbereich dieser Vorschriften weiter zunimmt.
Säule 3: Einheitliche MwSt-Registrierung
Die dritte Säule zielt darauf ab, die grenzüberschreitende Einhaltung der Vorschriften zu vereinfachen, indem die Nutzung der einzigen Anlaufstelle (One-Stop-Shop, OSS) ausgeweitet und die Notwendigkeit einer mehrfachen Mehrwertsteuerregistrierung verringert wird. Dieser Ansatz hat jedoch seine Grenzen:
Viele Unternehmen ziehen es vor, in mehreren Mitgliedstaaten für MwSt-Zwecke registriert zu bleiben, um die notorisch langsamen Erstattungsverfahren der 13.
Die vorgeschlagene obligatorische inländische Verlagerung der Steuerschuldnerschaft kann "perverse Auswirkungen" haben. So kann beispielsweise ein nicht in Frankreich ansässiges Unternehmen, das Waren kauft und weiterverkauft, die in Frankreich verbleiben, keine französische Mehrwertsteuerregistrierung erhalten, wenn sein Kunde bereits registriert ist, so dass es gezwungen ist, das langwierige Erstattungsverfahren der Achten Richtlinie anzuwenden, um die Mehrwertsteuer zurückzuerhalten. Dies kann Monate dauern, verglichen mit einer möglichen monatlichen Rückerstattung über eine normale Mehrwertsteuererklärung.
Letztendlich argumentiert Quenette, dass eine effiziente Bearbeitung von Mehrwertsteuererstattungen das eigentliche, dringende Problem für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen ist, wofür die Steuerverwaltungen über ausreichende Personal-, IT- und Finanzressourcen verfügen müssen.
Anhaltende Herausforderungen bei der Harmonisierung
Neben ViDA verdeutlichen auch andere Harmonisierungsbemühungen die Komplexität der Angleichung von 27 verschiedenen Systemen.
Fernabsatz von importierten Waren: Der Vorstoß zur Nutzung des Import One-Stop Shop (IOSS) soll die Einhaltung der Vorschriften vereinfachen. Die rechtliche Instabilität kann diese Bemühungen jedoch untergraben. Quenette zitiert einen Dropshipping-Kunden, der über mehrere Jahre hinweg mit neun Änderungen der geltenden MwSt-Vorschriften konfrontiert war. Diese Verwirrung veranlasste den Kunden, sich für das IOSS zu entscheiden, ohne es jemals zu nutzen, während seine Kunden weiterhin aufgefordert wurden, die Einfuhrumsatzsteuer auf dem Postamt zu bezahlen. Der Kunde stellte schließlich sein Geschäft ein und zeigte damit, dass ein instabiler rechtlicher Rahmen zu einem erheblichen Handelshemmnis werden kann.
Regelung für Kleinunternehmen: Eine neue grenzüberschreitende Regelung ermöglicht es kleinen Unternehmen unter einem Schwellenwert von 100.000 €, eine Mehrwertsteuerbefreiung in mehreren Mitgliedstaaten zu beantragen. In der Praxis wurde diese Regelung von den Unternehmen kaum beachtet, im Gegensatz zur erfolgreichen Einführung des OSS für Fernverkäufe im Jahr 2021. Dies kann auf schlechte Kommunikation, unvollständige Umsetzung durch die Mitgliedstaaten oder IT-Probleme zurückzuführen sein.
Mehrwertsteuersätze: Eine Richtlinie aus dem Jahr 2022 gab den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität bei der Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze, aber nur wenige haben diese Freiheit aufgrund von Haushaltszwängen genutzt. Die Steuersätze sind nach wie vor eine Quelle von Reibungen, von plötzlichen Steuererhöhungen in Rumänien bis hin zu Prüfungen in Frankreich, bei denen angezweifelt wird, ob es sich bei einem Produkt um ein ermäßigtes Buch oder einen normal besteuerten Kinderaufkleber handelt. Mit Blick auf die Zukunft hat die MwSt-Expertengruppe vorgeschlagen, diese Komplexität zu beseitigen und zu einem System mit nur zwei Sätzen pro Mitgliedstaat überzugehen: einem Normalsatz und einem ermäßigten Satz.
Der Weg in die Zukunft: Einfach halten
Die zentrale Erkenntnis ist, dass die EU-Mehrwertsteuervorschriften zu komplex geworden sind und von den Unternehmen und Steuerverwaltungen nicht mehr effizient genutzt werden können. Das künftige Ziel, so Quenettes leidenschaftliches Fazit, lässt sich mit dem Akronym K.I.S.S. - Keep It Simple, Stupid- zusammenfassen. Der Weg in die Zukunft erfordert eine Straffung und Vereinheitlichung der Vorschriften bei gleichzeitiger Ermöglichung einer eng begrenzten Flexibilität. Dieser Ansatz liegt im kollektiven Interesse aller Beteiligten und ist für den anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg der EU unerlässlich.

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