Das rechtliche Labyrinth des Ursprungs: Wesentliche Änderungen im EU- und US-Zollrecht anhand wegweisender Fälle

Wesentliche Umwandlung und nichtpräferentieller Ursprung im Zollrecht: Eine vergleichende Analyse von CS STEEL (C-86/24) und CBP HQ H302821 (Volvo)
Zusammenfassung
Both the EU and the US employ the concept of "substantial transformation" to determine the non-preferential origin of goods, but they differ in their legal frameworks and interpretive approaches.
The EU prioritizes predictability and legal certainty through codified "primary rules" for substantial transformation, as seen in the CS STEEL case, which limits case-by-case discretion.
The US, through administrative rulings and case law like the Volvo ruling, uses a "totality of circumstances" approach, leading to more discretion and uncertainty, with outcomes often hinging on factual nuances and the "name-character-use" test.
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Das Problem des nichtpräferentiellen Ursprungs
Im internationalen Zollrecht dient der Begriff des nichtpräferenziellen Ursprungs als grundlegendes Instrument zur Bestimmung des Ursprungslandes von Waren, wenn kein Präferenzhandelsabkommen gilt. Er wirkt sich auf die Einführung von allgemeinen Außenzöllen, Antidumpingzöllen, Ausgleichsmaßnahmen und Handelsbeschränkungen aus. Sowohl die Europäische Union (EU) als auch die Vereinigten Staaten wenden diesen Begriff an, allerdings mit unterschiedlichen rechtlichen Strukturen und Auslegungsansätzen.
Im EU-Rechtsrahmen definieren der Unionszollkodex (UCC) und seine delegierten Rechtsakte den nichtpräferenziellen Ursprung einer Ware als das Land, in dem die Ware ihrer letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitungunterzogen wurde - einProzess, der wirtschaftlich gerechtfertigt ist und zu einem neuen Produkt oder einer wichtigen Herstellungsstufe führt. Auch im US-Zollrecht ist die Doktrin der wesentlichen Umwandlung für die Bestimmung des Ursprungs maßgeblich. Die Zoll- und Grenzschutzbehörde der USA (CBP) geht davon aus, dass eine Umwandlung zu einem neuen Ursprung führt, wenn eine eingeführte Ware einer ausreichenden Be- oder Verarbeitung unterzogen wurde.
Der Begriff der wesentlichen Be- oder Verarbeitung ist jedoch von Natur aus mehrdeutig und stark faktenabhängig. In Bezug auf dieses Konzept hat der Europäische Gerichtshof kürzlich ein sehr interessantes Urteil gefällt ( C-86/24 CS STEEL a.s.), das sich gut mit dem berühmtenCBP-Urteil HQ H302821 (Volvo) vergleichen lässt. Obwohl die Fälle in unterschiedlichen Rechtssystemen angesiedelt sind, beleuchten sie ähnliche konzeptionelle Fragen: Wann reicht eine Verarbeitung in einem anderen Land aus, um den Ursprung einer Ware zu "ändern"?
Die Rechtssache CS STEEL (C-86/24) vor dem Gerichtshof der Europäischen Union
In der Rechtssache CS STEEL ging es um nahtlose Stahlrohre, die in die Position 7304 41 des Harmonisierten Systems eingereiht werden. Ein tschechisches Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die in Indien vorgenommene Kaltreduzierung von warmgefertigten Rohren mit Ursprung in China ausreicht, um den indischen Ursprung zu begründen.
Die Frage ergab sich aus der in Anhang 22-01 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 festgelegten primären Ursprungsregel, die ausdrücklich ausschließt, dass die Kaltveredelung allein den Ursprung solcher Rohre verändern kann. Nach Anhang 22-01 stellt nämlich nur die Verarbeitung aus Position 7304 49 eine wesentliche Be- oder Verarbeitung dar.
Die Zollverwaltung verneinte den indischen Ursprung mit dem Argument, dass in Indien keine wesentliche Be- oder Verarbeitung stattgefunden habe. Der Einführer, CS STEEL a.s., argumentierte, dass die Nachbearbeitung in Indien - Kaltreduzierung, Beizen, Passivierung und Einhaltung der ASTM A312-Normen - ein Erzeugnis mit besonderen technischen Eigenschaften und somit indischen Ursprung geschaffen habe. Die tschechischen Zollbehörden hielten jedoch daran fest, dass der Ursprung weiterhin in China liege, da die entscheidende Herstellungsphase dort stattfinde.
CS STEEL legte die Frage dem Regionalgericht Ostrava vor, das beschloss, das Verfahren auszusetzen, um zu klären, ob die Grundregel, wonach das Kaltfertigungsverfahren ausreicht, um eine wesentliche Umwandlung zu rechtfertigen, mit den EU-Grundsätzen der Nichtdiskriminierung und Fairness vereinbar ist.
Die Entscheidung des CJEU
In seinem Urteil vom 2. Oktober 2025 bestätigte der EuGH (Achte Kammer) die Gültigkeit der Primärregel. Der Gerichtshof stellte fest, dass der Ausschluss der Kaltveredelung von der Verleihung eines neuen Ursprungs weder eine ungerechtfertigte Diskriminierung noch einen offensichtlichen Fehler darstellt. Die Vorschrift sei daher mit dem EU-Recht vereinbar und bleibe verbindlich.
Der Gerichtshof verglich den Fall mit seiner früheren Entscheidung in der Rechtssache C-210/22 Stappert Deutschland GmbH, in der bestimmte unfertige Rohre einer anderen Regel unterlagen und in der es dem nationalen Gericht überlassen war, die tatsächliche Hinlänglichkeit der Umwandlung zu bestimmen. In der Entscheidung CS STEEL hingegen ließ das Vorhandensein einer ausdrücklichen Vorschrift keinen Spielraum für die Auslegung: Die Kaltverformung wurde nicht als wesentliche Umwandlung eingestuft.
Die Entscheidung in der Rechtssache CS STEEL unterstreicht die Vorliebe der EU für Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit durch kodifizierte "Primärregeln". Die Unternehmen können sich nicht auf eine fallweise Ermessensentscheidung verlassen, wenn eine verbindliche Regel eine Tarifposition regelt. Darüber hinaus bestätigt das Urteil, dass geringfügige mechanische Bearbeitungen - wiePolieren, Zerkleinern oder Oberflächenveredelung - die Ursprungseigenschaft nicht verleihen können, wenn die Verordnung sie ausdrücklich ausschließt.
Für die Unternehmen bedeutet dies, dass der EU-Gesetzgeber für bestimmte Waren restriktive Definitionen der wesentlichen Be- oder Verarbeitung vorschreiben kann, sofern solche Regeln vernünftig und nicht willkürlich sind. Den nationalen Gerichten verbleibt eine Restrolle bei der Beurteilung der faktischen Einhaltung der Vorschriften, nicht aber bei der Überprüfung der Gesetzgebungspolitik selbst.
Das CBP-Urteil HQ H302821 (Volvo) in den Vereinigten Staaten
Die Entscheidung HQ H302821 der CBP vom 26. Juli 2019 (veröffentlicht am 2. Oktober 2019) betraf den zollrechtlichen Ursprung von Volvo-Automobilen, die in Schweden aus zahlreichen chinesischen Baugruppen zusammengebaut wurden. Es ging um die Frage, ob die Endmontage in Schweden eine wesentliche Umwandlung darstellt, die den Ursprung der Fahrzeuge für US-Zollzwecke von China nach Schweden verlagern würde.
Das CBP kam zu dem Schluss, dass die schwedische Montage keine wesentliche Umwandlung darstellte. Folglich galten die Fahrzeuge als chinesischen Ursprungs und unterlagen somit den zusätzlichen Zöllen, die gemäß Abschnitt 301 des Handelsgesetzes auf chinesische Waren erhoben werden.
Die Argumentation basierte auf zwei zentralen Erwägungen:
Die eingeführten Unterbaugruppen (fünf Hauptmodule) waren für eine bestimmte Endverwendung im endgültigen Fahrzeug vorbestimmt; und
Die schwedischen Montagevorgänge änderten nicht ihren wesentlichen Charakter, ihre technische Identität oder ihre beabsichtigte Funktion.
Obwohl die Endmontage wirtschaftlich wichtig war, stellte das CBP fest, dass sie nicht die notwendige technische Tiefe hatte, um einen neuen Handelsartikel darzustellen.
Das CBP wendet nur selten allein die Prüfung der Verwendung des Namens und des Charakters an, um eine wesentliche Veränderung festzustellen. Vielmehr wendet sie einen "Gesamtheit der Umstände"-Ansatz an, bei dem die Komplexität der Vorgänge, der Grad der beteiligten Fähigkeiten und des Designs, der lokale Mehrwert und andere qualitative Faktoren berücksichtigt werden, um festzustellen, ob eine ausreichende Be- oder Verarbeitung stattgefunden hat.
Im Fall von Volvo behielten die Unterbaugruppen nach der Montage ihre wirtschaftliche und funktionale Identität bei, was bedeutet, dass der Vorgang als Integration und nicht als Verarbeitung angesehen wurde. Das CBP betonte, dass vorgefertigte Module mit definierten Funktionen ihre Identität nur selten durch die Endmontage verlieren.
Dieser Fall ist ein Beispiel für die zunehmend strengere Auslegung des Begriffs der wesentlichen Umgestaltung durch das CBP. Viele Kommentatoren argumentieren, dass dieser Ansatz den modernen Fertigungsrealitäten nicht gerecht wird, wo modulare Produktion und globale Wertschöpfungsketten die traditionellen Vorstellungen von "Herstellung" verwischen.
Nichtsdestotrotz zeigt das Urteil, dass die Beweislast beim Importeur liegt: Solange nicht anhand detaillierter technischer Unterlagen - Konstruktionszeichnungen, Prozessbeschreibungen, Prüfprotokolle - nachgewiesen wird, dass der Zusammenbau die Identität der Komponenten verändert, geht die CBP davon aus, dass keine wesentliche Umwandlung stattgefunden hat. Die wirtschaftlichen Folgen sind beträchtlich: Eine Fehleinschätzung des Ursprungs kann Unternehmen Strafzöllen, Bußgeldern und Reputationsrisiken aussetzen.
Vergleichende Diskussion: Konvergenzen und Divergenzen
Ein grundlegender Unterschied zwischen den beiden Systemen liegt in der normativen Quelle ihrer Regeln.
In der EU ist der nichtpräferentielle Ursprung durch Rechtsinstrumente kodifiziert - den UCC und seine delegierten Rechtsakte. Für viele Waren werden in Anhang 22-01 spezifische "Primärregeln" festgelegt, die die Schwelle der wesentlichen Be- oder Verarbeitung im Voraus bestimmen.
In den USA hingegen beruhen die Ursprungsbestimmungen auf Verwaltungsentscheidungen und der Rechtsprechung im Rahmen des Tariff Acts. Die Doktrin der "wesentlichen Umwandlung" ist flexibel, aber es fehlen kodifizierte, produktspezifische Kriterien. Das CBP wendet das unsichere Konzept der "ausreichenden Be- oder Verarbeitung" an, was die Wahl der Unternehmen, die nach objektiven, verständlichen und vorhersehbaren Regeln suchen, wie von der WTO gefordert, extrem erschwert.
Diese Divergenz führt zu gegensätzlichen Ergebnissen hinsichtlich der Rechtssicherheit: Die Wirtschaftsbeteiligten in der EU profitieren von der Vorhersehbarkeit, sind aber mit starren Schwellenwerten konfrontiert, während die Wirtschaftsbeteiligten in den USA mit Ermessensspielraum und Unsicherheit konfrontiert sind, wobei die Ergebnisse von faktischen Nuancen abhängen.
Schlussfolgerungen
Beide Fälle spiegeln eine hohe Schwelle für die Anerkennung eines Ursprungswechsels wider. Weder eine geringfügige mechanische Nachbearbeitung(CS STEEL) noch eine komplexe Montage(Volvo) reichten aus. Die Argumentation in beiden Rechtsprechungen stimmt überein: Ein Vorgang, der kein neues Erzeugnis schafft oder die technische Funktion nicht wesentlich verändert, kann keinen Ursprung verleihen.
In der Rechtssache CS STEEL war der entscheidende Faktor das Vorhandensein einer kodifizierten Regel, die besagt, dass die Kaltreduzierung nicht ausreicht. In der Rechtssache Volvo war der entscheidende Faktor die Tatsache, dass durch die Montage weder der Name noch der Charakter oder die Verwendung der Module verändert wurde. Während das eine Urteil auf einer ausdrücklichen Regelung und das andere auf einem Auslegungsurteil beruht, kommen beide zu einem ähnlichen materiellen Maßstab.
Im Volvo-Urteil wird der Begriff der vorbestimmten Endverwendunghervorgehoben :Bauteile, die für ein bestimmtes Endprodukt bestimmt sind, können nicht allein durch den Zusammenbau als wesentlich verändert angesehen werden. Obwohl das EU-Recht dieses Konzept nicht förmlich verwendet, klingt sein Geist in dem Erfordernis nach, dass eine Umwandlung zu einem neuen Produkt oder einer anderen Herstellungsstufe führen muss. Wenn die Zwischenerzeugnisse ihre Funktion und Identität behalten, können sie keinen neuen Ursprung begründen.
Die beiden Systeme stimmen also begrifflich überein, auch wenn sie sich sprachlich unterscheiden: Beide lehnen eine Ursprungsänderung ab, wenn die wesentliche Funktion der Ware durch die Verarbeitung nicht verändert wird.
Unabhängig vom jeweiligen System sind detaillierte technische und dokumentarische Nachweise erforderlich, um die Behauptung einer Umwandlung zu belegen. In der EU müssen die Wirtschaftsbeteiligten nachweisen, dass die Herstellung den gesetzlichen Definitionen entspricht; in den USA müssen die Importeure das CBP davon überzeugen, dass die Verarbeitung die Identität des Artikels verändert hat. Der EU-Rahmen reduziert den Ermessensspielraum, wenn eine Primärregel existiert, während der US-Rahmen den Ermessensspielraum durch Einzelfallentscheidungen erweitert.
In beiden Fällen liegt die Beweislast effektiv beim Wirtschaftsbeteiligten, der vorhersehen muss, wie die Behörden die Herstellungsprozesse im Lichte der Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auslegen werden.
Die Gegenüberstellung von CS STEEL (C-86/24) und CBP HQ H302821 (Volvo) bietet einen wertvollen Einblick in die Art und Weise, wie zwei große Handelsblöcke denselben grundlegenden Begriff der wesentlichen Umwandlung im nichtpräferenziellen Ursprung auslegen. Trotz ihrer institutionellen und verfahrenstechnischen Unterschiede bekräftigen beide Entscheidungen einen gemeinsamen Grundsatz: Nicht jeder Vorgang, der einen Mehrwert schafft, gilt als wesentliche Umwandlung.
Darüber hinaus verdeutlicht der Vergleich das Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und wirtschaftlicher Flexibilität: Das EU-Modell legt den Schwerpunkt auf Berechenbarkeit, das US-Modell auf Anpassungsfähigkeit. Für die Unternehmen unterstreicht dies die Notwendigkeit eines strategischen Ursprungsmanagements - die Vorwegnahmegesetzlicher Erwartungen, die Dokumentation der Fertigungstiefe und die Abstimmung des Produktionsdesigns auf die gewünschten Ursprungsergebnisse.
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