Fall Skandia: Mehrwertsteuer-Gruppenregelungen und grenzüberschreitende Dienstleistungen

Zusammenfassung
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Die Rechtssache des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zwischen der Skandia America Corp. (SAC), insbesondere ihrer schwedischen Niederlassung, und der schwedischen Steuerbehörde ist eine der Rechtssachen, die die EU-weiten Mehrwertsteuervorschriften änderten und die EU-Länder veranlassten, ihre nationalen Mehrwertsteuervorschriften für MwSt-Gruppen zu überarbeiten.
Darüber hinaus hatte der Fall direkte Auswirkungen auf einen anderen späteren EuGH-Fall, nämlich den zwischen der Danske Bank und der schwedischen Steuerbehörde. Mit der jüngsten Überprüfung und Überarbeitung der britischen Vorschriften für MwSt.-Gruppen, die in der Post-Brexit-Ära Änderungen vornahmen und von den EU-Vorschriften abwichen, rückte der Fall erneut in den Mittelpunkt.
Hintergrund des Falles
In den Jahren 2007 und 2008 fungierte SAC als globale Einkaufsgesellschaft der Skandia-Gruppe für IT-Dienstleistungen und war in Schweden über ihre Niederlassung Skandia Sverige tätig. Genauer gesagt kaufte SAC IT-Dienstleistungen von externen Anbietern ein und verteilte sie an Unternehmen innerhalb der Skandia-Gruppe, einschließlich der schwedischen Niederlassung, weiter. Im Juli 2007 wurde die schwedische Zweigstelle Teil der Skandia-Gruppe, was bedeutete, dass sie für Mehrwertsteuerzwecke als mit anderen Gruppenmitgliedern integriert und nicht als separate Einheit behandelt wurde.
Die schwedische Niederlassung spielte in der Skandia-Gruppe eine wichtige Rolle, da sie für die Umwandlung von extern bezogenen IT-Dienstleistungen in eine endgültige Dienstleistung, die so genannte IT-Produktion, verantwortlich war, die sie dann an Unternehmen der Skandia-Gruppe innerhalb und außerhalb der MwSt-Gruppe erbrachte. Ein einheitlicher Aufschlag von 5 %, ein Betrag, der auf die Kosten eines Produkts aufgeschlagen wird, um seinen Verkaufspreis zu bestimmen, wurde sowohl bei der Erbringung von Dienstleistungen durch SAC an die Skandia-Niederlassung als auch bei der Erbringung der endgültigen IT-Produktionsleistungen durch die Niederlassung an andere Skandia-Unternehmen angewandt.
Alle zwischen SAC und der schwedischen Niederlassung aufgeteilten Kosten wurden durch interne Rechnungen belegt. Die schwedische Steuerbehörde kam zu dem Schluss, dass die von SAC an die schwedische Niederlassung erbrachten IT-Dienstleistungen steuerpflichtige Umsätze waren. Außerdem betrachtete die Steuerbehörde SAC als mehrwertsteuerpflichtig für diese Leistungen. Sie machte die schwedische Niederlassung auch für den entsprechenden Mehrwertsteuerbetrag verantwortlich.
Die schwedische Zweigniederlassung legte jedoch gegen die Entscheidung der Steuerbehörde Berufung beim Verwaltungsgericht Stockholm ein, das das Verfahren aussetzte und dem EuGH zwei Fragen vorlegte.
Die wichtigsten Fragen aus dem Ersuchen um Vorabentscheidung
Mit der ersten Frage wollte das Verwaltungsgericht wissen, ob extern erworbene IT-Dienstleistungen, die von der Hauptniederlassung eines Unternehmens außerhalb der EU an seine in der EU ansässige Zweigniederlassung erbracht werden, steuerpflichtig sind, wenn die Zweigniederlassung Teil einer inländischen MwSt-Gruppe ist.
Die zweite Frage hängt von der Schlussfolgerung des EuGH zur ersten Frage ab. Für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird, fragte der Verwaltungsgerichtshof weiter, ob die Nicht-EU-Hauptniederlassung gemäß Artikel 196 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie als ein nicht im EU-Land ansässiger Steuerpflichtiger anzusehen ist, was bedeutet, dass die Mehrwertsteuer dem Dienstleistungsempfänger und nicht dem Dienstleistungserbringer in Rechnung gestellt werden sollte.
Anwendbarer Artikel der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie
Der EuGH bezeichnete mehrere Artikel der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie als die für diesen Fall relevantesten. Neben dem in der Vorlagefrage direkt zitierten Artikel 196, der eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung vorsieht, wonach die Mehrwertsteuer für bestimmte grenzüberschreitende Dienstleistungen im Sinne von Artikel 56 von dem Steuerpflichtigen geschuldet wird, der die Gegenstände liefert oder die Dienstleistungen erbringt, hob der EuGH die Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c, 11, 56 und 193 als die für die Entscheidung dieses Falles wesentlichen Artikel hervor.
Nach Artikel 56 Absatz 1 gilt für grenzüberschreitende Dienstleistungen, einschließlich Beratung, Datenverarbeitung und elektronisch erbrachte Dienstleistungen, der Ort, an dem der Kunde ansässig ist, unabhängig davon, ob er innerhalb oder außerhalb der EU ansässig ist. Da in diesem Artikel auch Anhang II der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie erwähnt wird, bezog der EuGH auch diesen Anhang in seine Überlegungen ein, der eine indikative Liste der elektronisch erbrachten Dienstleistungen enthält.
Schließlich stellte der EuGH fest, dass die Europäische Kommission im Juli 2009 eine Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament herausgegeben hat, in der sie ihre Auslegung der Vorschriften über MwSt-Gruppen in Artikel 11 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie erläutert, die es den EU-Ländern ermöglicht, mehrere rechtlich getrennte Einheiten als einen einzigen Steuerpflichtigen zu behandeln, wenn sie finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eng miteinander verbunden sind.
Das Dokument zeigt im Wesentlichen auf, wie die Kommission die Option der MwSt-Gruppe im EU-Binnenmarkt versteht und welche Maßnahmen die EU-Länder ergreifen können, um ihren Missbrauch zu verhindern.
Nationale schwedische MwSt-Vorschriften
In Bezug auf die nationalen Mehrwertsteuervorschriften stellte der EuGH fest, dass Schweden die Mehrwertsteuerrichtlinie durch sein Mehrwertsteuergesetz von 1994 umgesetzt hat, das die EU-Vorschriften darüber widerspiegelt, wann die Mehrwertsteuer gilt und wer sie zahlen muss. Außerdem führte der EuGH Artikel aus dem schwedischen Mehrwertsteuergesetz an, die die wichtigsten Bestimmungen der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie umsetzen.
Bedeutung der Rechtssache für Steuerpflichtige
Der so genannte Skandia-Fall gilt als eines der einflussreichsten EuGH-Urteile, da er die mehrwertsteuerliche Behandlung grenzüberschreitender gruppeninterner Dienstleistungen klärte. In Anbetracht des Kontextes von MwSt-Gruppen und -Strukturen in internationalen Unternehmen betraf dieser Fall viele Branchen und Unternehmen, einschließlich Banken und Versicherungen. Im Wesentlichen bieten die Auslegungen des EuGH multinationalen Konzernen, insbesondere solchen, die über MwSt.-Gruppen und -Zweigniederlassungen tätig sind, mehr Rechtssicherheit bei der Planung, Einhaltung der Vorschriften und Berichterstattung im Bereich der Mehrwertsteuer.
Analyse der Gerichtsentscheidungen
Der EuGH stellte fest, dass nach den EU-Vorschriften jede Dienstleistung, die von einem Steuerpflichtigen gegen Entgelt in einem EU-Land erbracht wird, grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegt. Da die Definition der Steuerpflichtigen als Einzelpersonen oder Unternehmen, die selbständig wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, für die Anwendung der EU-weiten MwSt-Vorschriften von entscheidender Bedeutung ist, betonte der EuGH, dass sie in allen EU-Ländern autonom und einheitlich angewandt werden muss.
Darüber hinaus fügte der EuGH hinzu, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Dienstleistung nur dann steuerpflichtig ist, wenn zwischen dem Erbringer und dem Empfänger ein echtes Rechtsverhältnis besteht, das durch einen Austausch gegenseitiger Leistungen gekennzeichnet ist. Die Schlüsselfrage bei der Feststellung, ob zwischen einem Nicht-EU-Unternehmen und seiner in der EU ansässigen Zweigniederlassung eine Beziehung besteht, ist, ob die Zweigniederlassung ihre Tätigkeiten unabhängig ausübt.
In diesem Fall stellte der EuGH fest, dass die schwedische Zweigniederlassung nicht die erforderliche Unabhängigkeit besitzt, um als eigenständiger Steuerpflichtiger behandelt zu werden, da sie keine eigenen wirtschaftlichen Risiken trägt, kein eigenes Kapital hat und ihr gesamtes Vermögen rechtlich SAC gehört. Mit anderen Worten: Die schwedische Zweigstelle arbeitet vollständig unter der Kontrolle ihres Hauptsitzes in den USA.
Hinsichtlich des Austauschs interner Rechnungen zwischen der SAC und ihrer schwedischen Niederlassung stellte der EuGH fest, dass solche Vereinbarungen nicht das Ergebnis von Verhandlungen zwischen unabhängigen Einrichtungen sind und daher keine steuerpflichtige Beziehung begründen können. Entscheidend ist, dass die schwedische Niederlassung Teil der Skandia-Mehrwertsteuergruppe ist, die gemäß Artikel 11 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie gebildet wurde.
Infolge ihrer Zugehörigkeit zu der Gruppe bildet die Zweigniederlassung zusammen mit allen anderen Mitgliedern einen einzigen Steuerpflichtigen für Mehrwertsteuerzwecke und wird von den nationalen Steuerbehörden als solcher behandelt. Da die MwSt-Gruppe als ein einziger Steuerpflichtiger behandelt wird, können die einzelnen Mitglieder weder innerhalb noch außerhalb der Gruppe getrennte MwSt-Erklärungen abgeben oder als getrennte Steuerpflichtige für MwSt-Zwecke anerkannt werden.
In Bezug auf die zweite Frage erinnerte der EuGH an Artikel 196 der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, der klarstellt, dass abweichend von der allgemeinen Regel in Artikel 193, wonach der Leistungserbringer die Mehrwertsteuer schuldet, der Leistungsempfänger die Mehrwertsteuer schuldet, wenn die in Artikel 56 genannten Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen erbracht werden, der nicht in dem EU-Land ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird. Außerdem bestätigte der EuGH, dass die fraglichen Umsätze zweifelsfrei steuerpflichtig sind und dass der Empfänger dieser Dienstleistungen die MwSt-Gruppe ist, zu der die Zweigniederlassung gehört.
Endgültige Entscheidung des Gerichts
Letztlich entschied der EuGH, dass nach EU-Recht Dienstleistungen, die von der Hauptniederlassung eines Unternehmens außerhalb der EU an seine Zweigniederlassung in einem EU-Land erbracht werden, steuerpflichtig sind, wenn diese Zweigniederlassung zu einer Gruppe gehört, die für Mehrwertsteuerzwecke als ein einziger Steuerpflichtiger behandelt wird. Wenn die Zweigniederlassung Teil einer Mehrwertsteuergruppe ist, schuldet die Gruppe selbst als Käufer oder Empfänger der Dienstleistungen die Mehrwertsteuer, nicht die Zweigniederlassung als einzelne Einrichtung.
Schlussfolgerung
In der Rechtssache Skandia entschied der EuGH, dass eine MwSt-Gruppe für MwSt-Zwecke ein eigenständiger Steuerpflichtiger ist, der sich von seinen Mitgliedern unterscheidet, und dass Leistungen an eine schwedische Zweigniederlassung einer MwSt-Gruppe, die von ihrer in den USA ansässigen Einrichtung erbracht werden, der MwSt unterliegen. Mit seinem Urteil betonte der EuGH, dass die Mitgliedschaft in einer MwSt-Gruppe die MwSt-Verpflichtungen und -Haftung zentralisiert und sich darauf auswirkt, wie Steuerpflichtige gruppeninterne und grenzüberschreitende Dienstleistungen abwickeln müssen.
Quelle: Rechtssache C-7/13 - Skandia America Corp./Schwedische Steuerbehörde, Rechtssache C-812/19 - Danske Bank gegen Schwedische Steuerbehörde, EU-Mehrwertsteuerrichtlinie
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